Zur Biologie und Ökologie der Ödlandschrecken Sphingonotus caerulans (L.) und Oedipoda caerulescens (L.) (Caelifera, Acrididae) unter Berücksichtigung verschiedener Bedingungen in einer mitteldeutschen Flusslandschaft
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In den Jahren 1992 bis 2009 wurden Studien zu den Lebensstrategien der zwei gefährdeten und besonders geschützten Heuschreckenarten durchgeführt. Hauptuntersuchungsgebiet ist die mitteldeutsche Flusslandschaft Mittlere Mulde, die sich aktuell durch quasinatürliche Prozesse und Habitate sowie „normale“ und „extreme“ Umweltschwankungen auszeichnet. Sphingonotus caerulans tritt in Nordwestsachsen nach den Ergebnissen einer Rasterkartierung mäßig häufig auf; der Bestandstrend ist negativ. Die Art hat in der Region ihr Verbreitungszentrum innerhalb von Deutschland. Mit verschiedenen Methoden konnten vielfältige Formen artspezifischer und popularer Anpassungen an „unsichere“ (natürliche) Initiallebensräume aufgezeigt werden. Unsicherheiten resultieren sowohl aus hoher, wie auch geringer Störungsintensität (Schlüsselfaktoren: Überflutung/Sedimentüberschüttung bzw. Sukzession). Die Anpassungsleistungen führen zur räumlich-zeitlichen Streuung der Individuen (Habitat-/Populationsebene) und Populationen (Landschafts-/Metapopulationsebene) und so zur Minderung des Extinktionsrisikos. Hierbei besitzt die Fähigkeit der Imagines zu Mitwind-Distanzflügen und zum zielorientierten Fliegen zentrale Bedeutung. An den phänologisch frühen, überwiegend endogen gesteuerten Emigrationsvorgängen sind zahlreiche morphologisch prädestinierte Imagines beider Geschlechter beteiligt. Die Streuung der Populationen ist Folge hoher Kolonisationsraten, sofern gebietsstrukturelle Voraussetzungen – wie nach dem Mulde-Extremhochwasser 2002 – gegeben sind. Oedipoda caerulescens kommt in Nordwestsachsen bezogen auf die Rasterfrequenz häufig vor; aktuell nehmen die Bestände mäßig stark ab (Auftreten in Deutschland: mäßig häufig). Die Art zeigt gegenüber den existenzökologisch wirksamen Schlüsselfaktoren Vegetationsstruktur und Habitatgröße (im Vergleich zur vorigen Art) weite Anpassungsgrenzen. Diese ermöglichen vielfach eine ausgeprägte Persistenz und zugleich die Nutzung linearer Strukturen als Ausbreitungskorridor. Belegt sind endogen wie exogen induzierte Auswanderungen, die in der Imaginalphase keine Diskontinuität erkennen lassen. „Leere“ Habitate werden meist unabhängig von ihrer Größe schrittweise und dann überwiegend durch wenige Immigranten besiedelt; die Etablierungsrate ist dennoch hoch. Ausdruck der Anpassung an moderate Umweltschwankungen sind die Konzentration der Vorkommen und die hohe Stetigkeit des Auftretens in – verglichen mit Flusshabitaten – „sicheren“ (Kultur-)Lebensräumen der Aue. Die gewonnenen Kenntnisse zu den divergierenden Lebensstrategien ermöglichen die Ableitung spezifischer Schutzerfordernisse und die Beurteilung der Eignung der Arten als Bioindikatoren, wie dies am Beispiel der Mulde praktiziert wurde. Die erstellten Artensteckbriefe liefern für die Naturschutzpraxis komprimierte Handlungsgrundlagen. Deren Übertragbarkeit auf andere Räume und Zeiten wurde durch vergleichende Untersuchungen getestet. Natürliche Störungen und Extremereignisse erwiesen sich in der Langzeituntersuchung als insgesamt positiv für die Situation der Pionierarten. Als Nebeneffekt entstanden erfassungsmethodische Bedingungen, die Einblicke in ansonsten maskierte Kolonisationsvorgänge zuließen. Bereits diese Aspekte erfordern und begründen den Schutz natürlicher Prozesse.