In einer interdisziplinären Debatte stellen sich Philosophen, Sprachwissenschaftler und Historiker dem „linguistic turn“ und diskutieren das Verhältnis von Sprache und Geschichte noch einmal grundsätzlich. Das Ergebnis ist ein wichtiger Beitrag nicht nur zur Geschichtswissenschaft, sondern zur Meta-Geschichte - bis hin zur Forderung nach einem „historical turn“ der Linguistik.
Jürgen Trabant Bücher






Sprachdämmerung
Eine Verteidigung
Sprache ist die menschliche Weise, sich die Welt denkend zu erschließen. Diese Einsicht wird jedoch in der europäischen Sprachkultur oft missachtet oder gar bekämpft. Deswegen ist die Sprache heute von vielen Seiten durch die Übertreibung ihrer bloß kommunikativen Funktion, durch die Vernachlässigung der alten Kultursprachen, durch einen falschen Purismus und durch die Abkehr von der Mehrsprachigkeit. Das neue Buch des Sprachwissenschaftlers Jürgen Trabant ist eine leidenschaftliche Verteidigung der welterhellenden Kraft der Sprache und ihrer inneren wie äußeren Vielfalt.Die vielen Sprachen Europas und der ganzen Welt sind – das wusste schon Wilhelm von Humboldt – ebenso vielfältige Weisen, die Welt zu erfassen. Will man also die kognitive Funktion der Sprache verteidigen, muss man auch den Reichtum der vielen Sprachen erhalten. Wenn das Deutsche heute gegenüber dem globalen Englisch zunehmend in Not gerät, gilt das genauso für all die anderen europäischen Sprachen, die auf dem Rückzug sind, weil nur die globale Sprache Macht verspricht. Jürgen Trabant zeichnet höchst aufschlussreich die historischen und sprachgeschichtlichen Entwicklungen nach, die zu unserer heutigen Situation geführt haben. Sein Buch ist ein Lob der Sprache, ohne die der Mensch nicht zudenken ist, und eine Warnung vor der heranrückenden Sprachdämmerung.
Jürgen Trabant beschreibt die wichtigsten Etappen in der Entwicklung von Humboldts Sprachauffassung und diskutiert die Stellung dieses Sprachdenkens in Philosophie, Sprachwissenschaft und Anthropologie. In einer Zeit zunehmender Sprachvergessenheit möchte es nicht nur den sprachthematisierenden Disziplinen, sondern allen an Sprache Interessierten Humboldts großes und tiefes Sprachdenken zum Mit-Denken empfehlen. Wilhelm von Humboldt, der große Staatsmann und Gründer der Berliner Universität, war auch ein großer Sprachforscher. Er erkannte, dass Sprachen nicht nur verschiedene Laute sind, sondern dass sie die Bedeutungen jeweils unterschiedlich gestalten, dass sie – auf der Grundlage universeller kognitiver Dispositionen des Menschen – verschiedene Weisen menschlichen Denkens, verschiedene „Weltansichten“ sind. Er entwirft ein umfassendes Projekt zur Erforschung der Sprachen der Welt, das gleichzeitig eine Erkundung der Vielfalt des menschlichen Geistes sein soll. Das vorliegende Buch skizziert die Reise Humboldts in die Sprachen der Welt und fragt nach den Folgen dieses anthropologischen Projekts für die heutige Reflexion und Kultur der Sprache.
Im Paradies wurde eine einzige Sprache gesprochen, während Mithridates, der letzte Gegner Roms, mit seinen zweiundzwanzig Sprachen scheiterte. Diese beiden Konzepte bilden die Pole des europäischen Sprachdenkens, dessen jahrhundertelanger Konflikt in diesem Buch nachgezeichnet wird. Sprache wurde oft als störend betrachtet, sei es als Mittel der Verführung oder als Hindernis zur wahren Erkenntnis. Die Vielfalt der Sprachen wurde als zusätzliche Strafe für die Menschheit angesehen. Diese Sichtweise hat sich bis heute kaum verändert; Sprachlosigkeit bleibt eine Sehnsucht der westlichen Welt. Dennoch entwickelte sich im Laufe der Geschichte eine Gegenbewegung, die seit der Renaissance eine Freude an sprachlicher Kreativität und eine Liebe zu den Sprachen förderte. Besonders seit Leibniz wird die sprachliche Vielfalt als Reichtum des menschlichen Geistes erkannt. Das Projekt der Sprachwissenschaft entstand aus der Erkundung dieser Unterschiede im Denken. Dennoch wird es letztlich wieder von der alten Sprachkritik der Philosophie vereinnahmt. Der Fokus auf die angeborene Sprachfähigkeit und die politisch-ökonomische Vereinheitlichung schränkt den Raum für die Wertschätzung sprachlicher Vielfalt im Denken und Fühlen der Menschen zunehmend ein.
Nachdem Wirtschaft und Wissenschaft sich schon seit längerem sprachlich globalisiert haben, raten nun Sozialwissenschaftler und Philosophen, Bundespräsidenten und ehemalige Bundeskanzler dem Land und Europa dringend, fleißig Englisch zu lernen, um die vielen Sprachen Europas, diese Hindernisse der Verständigung, aus dem Weg zu räumen. Diese Kampagne ist völlig überflüssig, weil die wohltätige Wirkung globaler Kommunikation durch das globale Englisch von niemandem bezweifelt wird und weil die Europäer ohnehin fleißig Globalesisch lernen. Das ist einerseits eine erfreuliche Entwicklung, gefährdet aber die anderen Sprachen der europäischen Nationen in vielfacher Hinsicht. Nötig ist daher eine Aktivität zugunsten der vielen europäischen Sprachen, die deren Leistung und Bedeutung hervorhebt und für ihre Bewahrung und Entwicklung eintritt. Dazu muss man aber eine andere Auffassung von Sprache haben als die bloß instrumentell kommunikative. Man muss wieder verstehen lernen, dass Sprache auch ein kognitives Instrument ist, nämlich der wichtigste Weg des Menschen zur Erfassung der Welt. Indem es die geistige, aber auch kulturelle und politische Bedeutung der Sprachen betont, plädiert Trabant angesichts des drohenden globalesischen Monolinguismus für eine echt verstandene europäische Mehrsprachigkeit.
Die Reden von Wilhelm von Humboldt über Sprache, gehalten ab 1820 vor der Berliner Akademie, zeigen die Entwicklung seines Sprachdenkens und die Tiefe seines vergleichenden Sprachstudiums. Sein Ansatz, philosophische Reflexion mit empirischer Forschung zu verbinden, ist heute besonders relevant.