Fred Kautz Bücher





"Weh der Lüge! Sie befreiet nicht"
- 206 Seiten
- 8 Lesestunden
Ein „Stadtlexikon“ scheint auf den ersten Blick unscheinbar, doch es offenbart eine lokalpatriotische Geschichtsauffassung, die den Zustand eines Landes reflektiert, das aus seiner NS-Vergangenheit hervortreten möchte. Der Autor zeigt am Beispiel Darmstadts, dass es für die politischen und kulturellen Eliten keine „Stunde Null“ gab und Teile des braunen Erbes bis heute fortbestehen. Diese Lektüre ist keine Unterhaltung! Im Vorwort wird das Schicksal von Menschen beschrieben, die trotz des Wunsches nach einem ruhigen Leben immer wieder in Konflikte geraten, weil sie ihre Prinzipien nicht aufgeben können. Fred Kautz, der Autor, hat sich seit Jahren mit einflussreichen Geschichtswissenschaftlern an deutschen Universitäten angelegt. Während Doktoranden oft Konflikte vermeiden, stellt Kautz fest, dass es in der akademischen Gemeinschaft eine unausgesprochene Übereinkunft gibt, die Nazi-Vergangenheit zu ignorieren. Kautz weigert sich, an den fruchtlosen Debatten über Hitler teilzunehmen, und zahlt dafür einen hohen Preis: Statt einer Universitätsanstellung erhält er nur ein geringfügiges Angebot von der Stadt Darmstadt. Anstatt das neue Stadtlexikon zu loben, kritisiert er scharf die Herausgeber, die die Nazi-Vergangenheit beschönigen. Kautz’ Prinzipientreue ist bemerkenswert und selten unter Akademikern.
Ob sie für die ungeheuerlichen Verbrechen des NS-Regimes ausschließlich Hitler, Himmler, Heydrich und andere Top-Nazis verantwortlich machte oder den nationalsozialistischen Völkermord als das Ergebnis eines kumulativen und ungeplanten Prozesses kollektiver Entscheidungen darstellte, stets hat die deutsche akademische Zeitgeschichte sich davor gehütet, die beunruhigende Vergangenheit zu nahe an sich herankommen zu lassen. Dabei liegt das „Dritte Reich“ und die Bundesrepublik sehr nahe beieinander, wenn man sich auf die mentalitätsgeschichtliche Ebene der gemeinsamen Gefühle, der Denkgewohnheiten und der alltäglichen Ausdrucksformen und Praktiken begibt.
Die Analyse des gescheiterten Dialogs zwischen Daniel Jonah Goldhagen, dem jüdischen Wissenschaftler und Autor des Buches Hitlers willige Vollstrecker und der etablierten deutschen Historikerzunft. Fred Kautz kritisiert die in Deutschland vorherrschende antiindividualistische Historische Sozialwissenschaft, die Goldhagens Bestseller in Grund und Boden verdammte. Kautz wagt die These, dass deren Protagonisten auf Goldhagens Buch nicht als Spezialisten - also Historiker -, sondern als Deutsche reagiert haben, deren Biographien in unterschiedlich starker Ausprägung mit dem Nationalsozialismus verbunden sind. Gerade die Intensität des emotionalen Engagements macht für Kautz die Qualität Goldhagens aus und auch der Autor plädiert seinerseits für die Erschütterung als Antriebskraft der Historiographie.