Die Ablehnung des Verfassungsentwurfes in Frankreich und den Niederlanden hat nicht zu einer grundsätzliche Korrektur, sondern zu einer Neuauflage der gescheiterten Lissabon-Strategie auf niedrigerem Niveau geführt. Gleichzeitig werden die Pläne zur Liberalisierung und Deregulierung beibehalten und soll die Finanzausstattung der EU weiter gekürzt werden. Demgegenüber schlägt die Euromemorandumgruppe eine integrierte europäische Entwicklungsstrategie vor, in der ökonomische, soziale und ökologische Ziele mit gleicher Intensität verfolgt werden.
Der kurze wirtschaftliche Aufschwung in der Europäischen Union war von Beginn an schwach ausgeprägt geblieben und hat den Teufelskreis aus Wachstumsschwäche, Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Ungleichheit niemals durchbrochen. Der Mangel an Binnennachfrage belastet die europäische Wirtschaft weiterhin. Die Osterweiterung, an sich ein begrüßenswerter historischer Beitrag zum Frieden in Europa, hat die regionalen Ungleichgewichte verstärkt. Die Lissabon-Strategie, die im März 2000 mit dem Ziel verkündet wurde, die EU bis zum Jahre 2010 zur „wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsregion der Welt“ zu machen. ist offensichtlich gescheitert. Der Fehlschlag ist auf den falschen politischen Ansatz zurückzuführen. Um die EU auf den Weg einer ausgeglichenen Entwicklung zu bringen, muss die Wirtschafts- und Sozialpolitik grundlegend reformiert werden. Ziel dieser Reform sollte ein spezifisches europäisches Gesellschaftsmodell als Alternative zum US-Modell sein, das auf den Kernelementen Vollbeschäftigung, soziale Wohlfahrt, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, ausgeglichene internationale Wirtschaftsbeziehungen und wirksame Entwicklungshilfe aufbaut.
Die Europäische Union steht an einem kritischen Wendepunkt und sieht sich vier großen Herausforderungen gegenüber, für die sie schlecht gerüstet ist. Zunächst leidet sie unter anhaltender ökonomischer Stagnation, die mit steigender Arbeitslosigkeit und sozialer Polarisierung einhergeht. Zudem bringt die bevorstehende Erweiterung der Union erhebliche wirtschaftliche, soziale und politische Probleme mit sich. Ein weiterer Punkt ist der Entfassungsentwurf, der die europäische Einheit stärken und eine gemeinsame Identität fördern soll, während gleichzeitig starker geopolitischer Druck politische Spannungen und Konflikte sowohl global als auch innerhalb der EU-Mitgliedstaaten erzeugt. Die Reaktionen der Union auf diese Herausforderungen sind unzureichend und könnten die Situation eher verschärfen. Die Kommission hält an einer restriktiven Wirtschaftspolitik fest, die durch eine Welle von Privatisierungen und einen engen Fokus auf öffentliche Interessen gekennzeichnet ist. Dieser restriktive Rahmen behindert Wachstum und Beschäftigung und lässt keinen Raum, um die zusätzlichen Herausforderungen der Ungleichheit und der divergierenden Entwicklungen, die mit dem Beitritt von zehn neuen Mitgliedern verbunden sind, angemessen zu adressieren.
Seitdem der Stabilitäts- und Wachstumspakt faktisch zusammengebrochen ist, gerät der neoliberale Kurs der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik zunehmend unter Kritik. Die Geldpolitik würgt die Produktion ab, die Finanzpolitik der Mitgliedsländer steht unter dem Diktat des Haushaltsausgleichs, eine eigenständige europäische Beschäftigungspolitik gibt es nicht, und die „Modernisierung“ der sozialen Sicherungssysteme läuft auf eine Privatisierung hinaus, die den Versicherten vor allem Unsicherheit bringt und nur den großen Akteuren auf den Finanzmärkten nutzt. Das Memorandum orientiert auf den Erhalt bzw. den Ausbau eines eigenständigen demokratischen Sozialmodells für Europa. Im Zentrum stehen dabei neben einer ausführlichen Kritik an den Rentenreformen in der EU, Vorschläge zur Verteidigung und für den demokratischen Ausbau des öffentlichen Sektors, für eine fortschrittliche Finanzpolitik und die Herstellung eines europäischen Finanzmarktes, der spekulative Turbulenzen vermeidet und in eine gesamtwirtschaftliche Entwicklungsstrategie eingebunden wird.