Die Tagebücher von Leonhard Euler bieten einen einzigartigen Einblick in seine mathematischen Überlegungen und kreativen Prozesse. Anstatt persönliche Erlebnisse oder historische Ereignisse festzuhalten, dokumentierte er seine Ideen, Ordnungsstrategien und visuellen Praktiken, die seine Arbeit prägten. Diese Aufzeichnungen sind nicht nur für Mathematiker von Bedeutung, sondern auch für alle, die sich für die Entstehung und Entwicklung mathematischer Konzepte interessieren. Sie zeigen, wie Euler seine Gedanken strukturierte und neue mathematische Wege erkundete.
Wladimir Velminski Bücher






Ideologie und Werkzeug
- 160 Seiten
- 6 Lesestunden
Der Essay von Wladimir Velminski untersucht die Entwicklung der Medienregime und deren Einfluss auf die Philosophie, insbesondere im Kontext von Friedrich Nietzsches Kulturkritik. Er analysiert die Transformation von der maschinellen Ideengenerierung des 19. Jahrhunderts bis zu den algorithmisierten Kreativitätstechniken des 20. Jahrhunderts. Dabei beleuchtet Velminski, wie ideologische Impulse die Optimierung dieser Techniken prägen und welche Widerstände sie in totalitären Systemen hervorrufen. Der Fokus liegt auf der Wechselwirkung zwischen Technologie, Kreativität und gesellschaftlichen Strukturen.
Suspensions
Control Processes in Eastern Europe from Iconoclasm to Cybernetics
- 122 Seiten
- 5 Lesestunden
Die Beiträge des Bandes untersuchen das Geflecht aus Telegrammen, Postkarten und Briefen, Gedanken, Skizzen und Depeschen sowie Radio- und Fernsehsendungen. Angesichts der historischen und fiktionalen Strukturen dieser Kommunikationsmodelle konturieren die Beiträge des Bandes die Spannungsfelder zwischen Kunst, Literatur und Wissenschaft.
Wenn sich Kalküle entwickeln, Grenzwerte errechnet werden, ein Koordinatenkreuz gezeichnet wird, in dem die Stetigkeit, Differenzierbarkeit und die Integration von Funktionen in Erscheinung treten, so werden Vorstellungen abstrahiert – es wird Mathematik betrieben. Die ermittelten Differenzen, die während der Rechnung an Bedeutung gewinnen und damit Exaktheit enthüllen, verlaufen zwischen den Formen der Existenz und dem Inhalt der Erscheinung. Nicht nur das, was sich auf den ersten Blick erschließt und ungestört erkennen lässt, wird sichtbar, sondern es erscheint etwas, was dem eigentlichen Inhalt eigen war, dessen Form indes nur imaginiert werden konnte. Auf der Grundlage von abstrakten Strukturen und Mustern nimmt der Band verschiedene Visualisierungs- und Anschaulichkeitsstrategien der Mathematik unter die Lupe.
Ein bedeutender Akteur in der osteuropäischen Kulturgeschichte des nachrevolutionären Jahrzehnts war der Dichter und Psychotechniker Aleksej Gastev, der mit Lenins Unterstützung in Moskau ein Institut für Arbeitsforschung gründete. Dieses Institut führte die Lehre der Biomechanik und das Taylorismus-System in Fabriken, Theatern und im Sport ein. Gastev verkörperte eine Doppelheit: Er war sowohl Dichter, der an einem futuristisch‑visionären Entwurf des neuen Menschen arbeitete, als auch Agent eines subrepräsentativen ergometrischen Diskurses. Er wurde zum Propagandisten des Taylorismus in der UdSSR, was eine rationale Durchorganisierung der Arbeit und die motorische Feinanpassung des Arbeiters an die Maschinenvorgaben beinhaltete. Die These, dass der ›neue Mensch‹ von Anfang an falsch im Zeitdiskurs verortet ist, könnte zutreffen, da er eher ein phantasmatisches Gegenstück des Kranken darstellt. Mit neuen biopsychologischen Techniken sollte die Effizienz von Bewegungen und Emotionen gesteigert werden. Ein zentraler Begriff Gastevs ist die ›Einstellung‹, die sowohl eine allgemeine kulturelle Haltung als auch die spezifische Anpassung des Arbeiters an die Maschinenvorgaben beschreibt. Der Band versammelt und kommentiert Gastevs Patente sowie seine poetischen und wissenschaftlichen Texte.
Hirngespinste
Denkprozesse zwischen Störung, Genialität und Fiktionalität in Künsten und Wissenschaften
- 261 Seiten
- 10 Lesestunden
Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Erforschung des Gehirns wendet sich der Band den unfassbaren sowie rätselhaften Vorgängen des Denkens zu. Die Autoren interessiert, was man über diese unkalkulierbaren Tätigkeiten des Gehirns weiß und inwiefern diese wiederum selbst in ihrer Unerklärbarkeit ein Wissen erzeugen, insbesondere auch ästhetisches Wissen, das im Laufe der Kultur- und Wissensgeschichte ganz unterschiedliche Deutungen und Konjunkturen je nach Disziplin erfahren hat. In dem Buch kommen daher Künstler und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zu Wort.
Seitdem das Gehirn als Residenz kognitiver Leistung erkannt wurde, vergleicht man es in der medialen Historiographie mit den komplexesten technischen Apparaten – sei es Fließband oder Telegraph, Radiostation oder Computer. Während die technischen Funktionsprozesse jedoch zu Denkschablonen werden, die das Gehirn anschaulich machen sollen, entsteht aus der glibbrigen Masse eine fiktionale Konstruktion, deren Strukturen es für die Wissensproduktion nachzuahmen gilt. Diese Interferenz aus medialen Verfahren lässt gerade in der Gründungsphase der Sowjetunion unmittelbare Anwendungsfelder mit den ihnen anhängenden Machtstrategien und Überwachungsmethoden entstehen. Die politisierte Verschaltung von der Wissenschaft über die Poetologie führt somit einerseits zurück zum Menschen, der in der Gestalt des Rezipienten das zerebrale Fundament des Neuen Menschen durch die ästhetischen Narrative verstehen und sich aneignen soll. Andererseits führt gerade die Rückkoppelung zu den postulierten Thesen, mit denen die Wissenschaft argumentiert und die sie zu verwirklichen strebt.
Im Jahr 1832, auf dem Höhepunkt der europäischen Cholera-Epedemie, macht Semën Karsakov, Erfinder, Statistiker im russischen Polizeiministerium und erster russischer Homöopath, den Vorschlag zur Entwicklung einer Maschine, auf deren Grundlage die Homöopathie – wie man heute weiß – zu bahnbrechenden Resultaten bei der Zusammenstellung von Medikamenten gelangt wäre. Beim Bau dieser Maschine ging es Karsakov jedoch nicht primär um die automatengestützte Auffindung des richtigen Heilungspräparats, sondern um die Konstruktion einer Maschine, die verschiedene Begriffe aus dem ›unübersichtlichen‹’ Wissensvorrat kombinieren kann – um eine Suchmaschine. »Das komplett materielle Gedächtnis meiner Maschine kann sich nicht täuschen, denn es ist das unfehlbare Resultat physikalischer Eigenschaften der Materie«, schreibt der Erfinder an die Kommissionen der Akademien in St. Petersburg und Paris, die dem Projekt indes keine Aufmerksamkeit schenkten. Der Band stellt die bislang unbekannte Erfindung Karsakovs vor und kommentiert sie aus medienarchäologischer und medizinhistorischer Sicht. Neben Dokumenten wie der erstmaligen deutschen Übersetzung von Karsakovs Entwurf und unveröffentlichten Aufzeichnungen wird die Rekonstruktion der Karsakovschen Maschine vorgestellt, wie sie im Berliner Seminar für Medientheorien erbaut und auf ungewöhnliche Weise zum Einsatz gebracht wurde.