Li Mollets später ist ein Buch über Zeit und Raum, ein Panorama von Wandel und Vergehen. Gleichsam um der Flüchtigkeit Einhalt zu gebieten, ist der Text streng nach Plan in einhundertundvier Abschnitte gegliedert, die stets mit einer Notiz zum Interieur der Schreib- und Wohnstatt beginnend die Innen- und Mitwelt einer schreibenden Ich-Figur sprachlich in Szene setzen: Vegetation und Witterung, Klänge und Geräusche, die Beobachtung eines Kindes, Träume, Gespräche oder Bemerkenswertes, das anderen widerfährt, werden nach Prinzipien der Analogie oder kontrapunktisch zu annähernd gleich langen Sequenzen zusammengefügt. Li Mollet ist eine Meisterin der Verknappung: Lebensentwürfe werden komprimiert zu einem einzigen Satz, und in scheinbar Nebensächlichem entfalten sich epochale Atmosphären. Ihr Prosa- buch später gibt auf herz- und geisterfrischende Art Auskunft, wie Empfinden und Anschauung des Einzelnen von der ökonomischen Weltwetterlage draußen mitgeprägt werden und welche inspirieren- den Umtriebe man Letzterer entgegengehalten kann.
Li Mollet Bücher





Li Mollet choreographiert in „und jemand winkt“ einen Reigen von Mikro-Erzählungen von den grenzenlosen Möglichkeiten, aber auch absurden Beschränkungen der Existenz, denen sich ihre anonymen, als „Jemand“ auftretenden Figuren unterschiedlichen Alters, aus verschiedenen Zeiten, Milieus und Berufen konfrontiert sehen. Wo andernorts Geschichten oder Porträts ganze Bände füllen, formt Mollet hochkonzentrierte Miniaturen auf gerade einmal drei bis vier Zeilen, betrachtet dabei Gegenwärtiges aufmerksam und testet es auf Nuancen im Vergleich mit Vergangenem oder Zukünftigem. Wie wäre es, wiederholt die Autorin unablässig, von diesem oder jenem zu erzählen, und verquickt die aus dutzenden weltliterarischen Quellen extrahierten Erzählstoffe mit Ingredienzien der eigenen Biographie zum Potential für neue Geschichten, deren Rhythmus von Assoziation, Gleichklang oder Kontrast geprägt wird. Solchen Möglichkeitsraum durchkreuzen indes zahlreiche, nach präzisen Intervallen abgefeuerte „kleine Imperative“ einer kompakten Mehrheit. Solcherart Gemeinplätze wie „Kunst ist zu nichts nütze“ appellieren in Li Mollets Prosabuch mit poetischem Feinsinn an die Notwendigkeit, das bestehende Falsche anzutippen und als veränderbar zu begreifen.
In Li Mollets Prosaband „irgendwann vielleicht“ wird die Welt als poetisches Material betrachtet und synästhetisch wahrgenommen. Das schauende Ich öffnet sich breiten Wahrnehmungsfeldern. Sein Gegenüber, das fiktive Er und die anderen Personen spiegeln biografische, historische, soziologische und alltägliche Konfigurationen. Die Beobachtungen sind weitgefächert, aber auch disparat und kontingent. Mollets Sprache modelliert diese zu ungewohnten Gebilden und überraschend neuen Zusammenhängen.
Sondern
Prosa
Neue Ideen tauchen neben den alten auf. Ich schaue aus dem Fenster und sehe den Nebel und nichts und niemanden sonst. Wenn der Umgang mit Nichtigkei-ten die Aufmerksamkeit weckt oder wenn etwas nach innen spiegelt, sagt er. Mir reicht es, von weitem zu schauen, sage ich. Dahinter wäre Rom, die Wüste oder der Mond. In dieser Zeit des verlorenen Lächelns ver-suche ich das gesellige Leben nicht zu vergessen. Wir sollten Kuchen backen und Wein einkaufen, sagt er. Wenn es nicht zu spät wäre, könnte ich mich auf die Zehenspitzen oder besser noch auf einen Stuhl stellen. An den Rändern ist manches unscharf, sage ich. Die Erwartung und die Sorge wären nichts als ein Fleck.