Das Blässhuhn: es taucht unter, kommt an unerwartetem Ort und Zeitpunkt wieder zum Vorschein, so auch Antigone, als volatile Figur, Fragestellung, Projektionsfläche. Als widersetzliches Mäd-chen trägt sie, der Etymologie ihres Namens nach, ein „Gegen“ in sich wie auch „Geburt“ und „Abstammung“, zieht Spuren nach verwandtschaftlichen Banden und durchkreuzt literarische Felder. Ein Ordnungsprinzip von A bis Z steckt den täuschend klaren Rahmen ab für Prosaminiaturen, Gedichte, Notate und Listen, Thesenhaftes oder in Zeitungen Vorgefundenes zu Affoltern und Baden, den loka- len Koordinaten einer für Reflexion, Theorie und Traumhaftes ebenso wie für Konkret-Soziales durchlässigen Textur. Durch das fragile alphabetische Raster hindurch bricht sich das Diskontinuierliche, Wilde und Chaotische der Erscheinungen, Beobachtungen und Gedanken Bahn – von der Autorin virtuos zum Ausdruck gebracht in immer wieder neuen Formfindungen, die ihre Qualität gerade aus der Apperzeption von Sprüngen, Unterbrechung und Kontamination beziehen. Antigone Blässhuhn Alphabet so nebenher ist ein ästhetisch wie politisch brisantes Buch: ein flirrendes Dokument von Selbstverortung und präzises Modell kalkulierter Überschreitung.
Elisabeth Wandeler-Deck Bücher






Piraten
Haitianische Topographien
Am 1. Januar 2004 feiert Haiti den zweihundertsten Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Sklaven folgten dem Aufruf der französischen Revolution! «Piraten. Haitianische Topographien» setzt mit einer Reminiszenz aus «Von einem Schiff zu singen» ein, dem ersten Titel von Elisabeth Wandeler-Deck, der 1999 im bilgerverlag erschienen ist. Diese Reminiszenz spielt wiederum auf den Film «soigne ta droite» (1987) an, der als Godards filmische Auseinandersetzung mit Dostojewskijs «Der Idiot» verstanden werden kann.
Anfänge, anfangen, gefolgt von und
- 127 Seiten
- 5 Lesestunden
Elisabeth Wandeler-Deck erkundet in ihrem neuen Gedichtband unter Titeln wie Langsamer Anfang, Beharrlicher Anfang, Drei in Kairo gedehnte Anfänge die Peripetien des Beginnens, um schließlich in Und den wunderbaren Wirkungen dieser und weiterer Konjunktionen auf das Gedicht nachzuspüren.„Die Autorin ist für mich ein scheinbar unendliches Sprachlabor, in dem mit kreativer Neugierde geforscht, auseinandergenommen, seziert und neu montiert wird. Regelmäßig entlässt Elisabeth Wandeler-Deck dieser Wunderküche neue Sprach-Stücke – uns zum Rätsel, zur Entdeckung, zur Freude. Laut vorlesen? Für uns ein Abenteuer, für die Autorin ganz normal“, schreibt Beat Brechbühl. Elisabeth Wandeler-Decks neuer Gedichtband ist von Alfred Zimmerlins Komposition Anfänge (1999) inspiriert und in Gang gesetzt. Lyrisch setzt die Dichterin hier fort, was der Komponist in seiner Musik anlegt: „Kurze, vielleicht etüdenhafte Stücke, um neues Terrain zu erkunden, ohne das Alte aufgeben zu wollen. Auseinandersetzung mit Vergangenheit, eine Musik auf der Zeitsäule.“
Visby infra-ordinaire
listen, würfeln, finden
Der Text inszeniert und dokumentiert „eine an die psychogeographischen Experimente der Situationisten gemahnende Methode, gewissermaßen einen Keil in die geläufige, wie von selbst funktionierende Praxis zu treiben, mit der wir uns in einer durchschnittlichen europäischen Stadt – sei es in Winterthur, in Budweis oder eben in Visby – aufgrund unseres Vorwissens und unserer Erfahrung meist mühelos orientieren können. Eine gerade Augenzahl bedeutet: nach rechts abbiegen; eine ungerade nach links. Mit einem Würfelwurf wird auch bestimmt, wieviele Blöcke man der Straße zu folgen hat. Ist der neue Standort dann erreicht, geht es um »Materialgewinnung«; Notizen und Photos werden gemacht, mit Klängen und mit Text improvisiert. Oder ein »Würfelgedicht« entsteht.“ (Florian Neuner)
Über sieben Etappen entfaltet Elisabeth Wandeler-Deck – arioso – die verschiedenen Verhältnisse des Gedichts zum Musikalischen in ausgehaltener Spannung zu den anderen und mit den anderen Dimensionen von Text. Zukunft und Vergangenheit – archive des zukommens – werden eins und im Einen ungeschieden umgeschieden.„Das Panorama der berichteten Welt reißt auf, öffnet für die Leserin und den Leser in wiederholtem Entwurf Räume, bei deren Betreten ihre hergebrachten Erfahrungen auf Erinnerungen treffen, die nur hier heimisch sind.“ Dabei zeigen die Gedichte „aus immer wieder anderer und neuer Sicht, dass die Grammatik der Welt in der Welt der Grammatik verborgen und bereit liegt. Sie führen die rhythmischen Gravuren architektonischer Objektivität ebenso unbeirrt wie irritierend quer zu den altvertrauten Kulissen der Vor- und Befindlichkeits-Lyrik. Sie wecken Vers für Vers den spielregelsüchtigen Widerstand der Sprache gegen ihre alltägliche Normierung und weisen so ihren Leserinnen und Lesern den Weg aus diskursiver Unmündigkeit.“ (Wolfram Malte Fues) Zeichnungen von Susanna Vecellio, Zürich, eröffnen und skandieren den Band.
Kochen & Speisen lässt sich unschwer allegorisch verstehen, wenn es zur poetischen Handwerklichkeit kommt. Elisabeth Wandeler-Decks kleine Formen beschäftigen sich allesamt mit Essbarkeiten, gleichzeitig aber auch mit erinnerter Einsamkeit und familialer Gemeinschaft. Sie untersuchen damit mögliche sprachliche und zeichenhafte Verwandtschaftsverhältnisse von Gerichten und Beziehungsvergangenheiten.
Das Heimweh der Meeresschildkröten
Heterotopien der Nacht
Elisabeth Wandeler-Deck, 1939 geboren und in Zürich lebend, lässt in ihrem Schreiben eine große Affinität zur Musik erkennen. Ihre Texte bewegen sich nicht selten vom Klanglichen gesteuert voran, den avancierteren Konzepten des Free-Jazz ähnlich. Getragen vom präzisen Treiben der Sprache sucht die ausgebildete Architektin, Soziologin und Psychologin mit ihrem Schreibansatz immer wieder frische thematische Felder auf. Dabei sind ihr Topographien der sprachlichen Erkundung wert, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In Da liegt noch ihr Schal (edition taberna kritika, 2009) beschäftigt sich Wandeler-Deck mit einer Transitroute zwischen Baar und Sihlbrugg in der Zentralschweiz, wo sich – in maximalem Kontrast zur Umgebung – ein an US-amerikanische Urbanität gemahnender „Strip“ mit Raststätten, Motels usf. entwickelt hat. Das Heimweh der Meeresschildkröten – Heterotopien der Nacht bewegt vom Inn zur Donau zum Schwarzen Meer die Operndiva als Figur und Stimme. Ein vielstimmiger, von der Geschichte des Donauraums wie von dessen Topografie ebenso geprägter wie vom Wesen der Oper durchdrungener Text entstand. Ausserdem in dieser Edition erschienen: Ein Fonduekoch geworden sein (2013).