Ein halb verfallener Gründerzeitbau am Stadtrand, bewohnt von Geisteskranken - das war Eschenhain gewesen, bevor Lissis Vater das Anwesen kaufte und renovieren ließ. Die Menschen, die dort leben, erfahren Eschenhain als eine gleichgültig gewordene Welt im kleinen, in der jeder allein und auf andere Art um die Verwirklichung seiner Sehnsüchte kämpft. Dort wächst Lissi auf, erforscht mit hemmungsloser Neugier die Winkel des alten Hauses, die Schatten unter den Bäumen im Park, die vergessenen Dinge zwischen den Gräbern auf dem alten Friedhof. Ihr Übermut und ihre Lebensgier stören die starre Ruhe von Eschenhain, ihre geradezu anarchische Kreatürlichkeit steht in krassem Widerspruch zu den Regeln des Vaters, denen er seinen Erfolg verdankt und die er seiner Umgebung aufprägt: der Haushälterin Änne, die seit Jahrzehnten frag- und klaglos vielen Herren gedient hat, der Mutter, die sich schon lang in ihre eigene Welt zurückgezogen hat, in eine Welt vergangenen Glanzes und erloschener Pracht. Als Lissi in die Stadt entkommt, wähnt sie sich endlich frei, umarmt begierig die laute, fremde Welt - und stößt doch nur an neue Grenzen: Noch auf dem Bahnsteig wird sie für eine Herumtreiberin gehalten und verhaftet. Der Bauarbeiter Hannes, der die Szene beobachtet, beschließt, dem naiv und stolz wirkenden Mädchen zu helfen und holt sie aus der Zelle. Lissi geht mit ihm, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Er wird nicht der letzte sein, mit dem sie geht. Eine eigentümliche Schwebe kennzeichnet die Geschichte dieser jungen Frau und der Menschen, die ihren Weg kreuzen, eine Zeitlosigkeit, die um so nachdrücklicher auf die inneren Welten der Figuren verweist. Gefangen in ihren Wünschen und Sehn-süchten, umkreisen sie einander, kommen sich manchmal näher und prallen wieder voneinander ab, unversehrt, unerkannt.
Susanne Röckel Bücher
- Anne Spielmann






Bilder wie Blumen
- 128 Seiten
- 5 Lesestunden
Chinesisches Alphabet
Ein Jahr in Shanghai
Jetzt wiederveröffentlicht, mit einem aktuellen Nachwort der Autorin. »Überwältigt von dem, was zu hören, zu sehen, zu riechen, zu schmecken war, begann ich zu schreiben.« Ein Jahr verbrachte Susanne Röckel in Shanghai – wie lebt es sich in der Metropole als »Langnase«, als »blutiger China-Anfänger«? Aus dem Impuls, die Fremde fassen und begreifen zu wollen, entstanden Aufzeichnungen und Geschichten von spielerischer Leichtigkeit und großer evokativer Kraft. Auch heute noch, zwanzig Jahre später, überzeugt dieses Mosaik aus Erlebtem und Gedachtem, ob es um Hühnerfüße geht oder Grillenverkäufer, Verkehrspolizisten oder Tempel, Kalligraphie oder Friseursalons.
Rotula
- 234 Seiten
- 9 Lesestunden
Eine Prosa, die in ihrer Präzision das Phantastische wahrscheinlich werden lässt und uns parabelhaft anschaulich macht: die menschliche Hybris hat Grenzen. Die Natur vergisst nichts. Rotula berichtet an der Wende zum 22. Jahrhundert von einer traumatisierten Stadt, die durch katastrophische Ereignisse im Jahr 2014 ihre Seele verlor. Das verborgene städtische Archiv enthält Tagebücher bereits aus der napoleonischen Zeit, die von Fossilien, rädchenförmigen Abdrücken ausder Erdurzeit vor hunderten Millionen Jahren erzählen - geheimnisvollen Lebewesen des Wassers. Ist ihre Wiederkehr denkbar? Alte vorchristliche Rituale bezeugen die Huldigungsopfer an die grauenhafte Gefahr aus dem Flusswasser und Spuren von genetischem Material ermöglichen zum ersten Mal die Zucht der komplexen Mehrzeller. Rotula, ihr zermahlendes Räderwerk, lebt. Die Menschen aber wollen die Warnzeichen der Natur nicht verstehen ...
Der Vogelgott
Roman
Hier hat eine große Erzählerin aus einer grimmigen Geschichte einen grandiosen Roman gemacht. Die Mitglieder einer wissenschaftlich orientierten Familie werden durch eine zufällige Entdeckung auf einem Kirchenbild in den schwer durchschaubaren Mythos eines Vogelgottes hineingezogen - mit einem Sog, dem sie so wenig widerstehen können wie der Leser dieser Geschichte. Spätestens als sich herausstellt, dass dieser Mythos eben nicht nur ein Mythos ist. Es ist eine sagenhafte, aber elende Gegend dieser Erde, wo die Verehrer des Vogelgotts leben, die ihm allerdings weniger ergeben als vielmehr ausgeliefert zu sein scheinen. In diesem unwiderstehlichen Roman entpuppt sich eine geheime Welt als die unsere, in der die Natur ihre Freundschaft aufkündigt und wir ihrer Aggression und Düsternis gegenüberstehen. Das ist nicht die übliche Jung und Jung Literatur, werden manche denken. Beim Lesen und vor allem Weiterlesen fragt man sich, warum man das Buch nicht aus der Hand legen kann, zumal hier nicht mit altertümlichen Spannungselementen gearbeitet wird.
Der Käfig
- 232 Seiten
- 9 Lesestunden
Dieser Erzählung über eine spielsüchtige Frau wurde der Gerhard-Fritsch-Literaturpreis zugesprochen. Sie schildert einen Lebenslauf, der ebenso zufällig und mechanisch abrollt wie der Weg der Flipperkugel zwischen den Gummibanden der Automaten in der Spielhölle namens Palladion.
Die Lektüre von Susanne Röckels Romanen und Erzählungen ist immer eine Wanderung zwischen zwei Wirklichkeiten: die des Wachens und die des Traumes - und wir können niemals ganz sicher sein, in welcher wir uns gerade auf halten. Sechs fragwürdige Helden, sechs Geschichten in Susanne Röckels Vergessene Museen, und in jeder einzelnen gelingt der Autorin ein grandioses Kunststück. Mit einer rhythmisierten, präzisen, aber von aller Beengung befreiten Sprache fängt sie den Moment der Entrückung, die Irritationen, die Spiegelungen und Verrätselungen des Rausches ein, in dem zuletzt nur noch die Leuchtkraft der Sprache trägt.
Aus dem Spiel
- 352 Seiten
- 13 Lesestunden
Walter ist aus dem Spiel, seine Welt, die die Firma war, ist zusammengebrochen. Gibt es noch ein anderes Leben für ihn? Warum hat er solche Angst davor zu leben? Ein aktuelles Thema von großer Brisanz, erzählt von Susanne Röckel in ihrer präzisen und suggestiven Sprache mit überwältigender Empathie für ihre Figuren. Süddeutsche Zeitung