Barbarossa sei in Gestalt der Hohenzollern aus dem Kyffhäuser wieder erlöst worden, meinte Kaiser Wilhelm II. 1911 bei seinem Besuch in Aachen. – Die rheinische Bevölkerung gehöre „dem Blute nach“ seit mehr als 1000 Jahren zum Deutschen Reich, schrieb 1925 der Aachener Archivdirektor Huyskens. Zwischen diesen beiden Typen nationaler Identitätsstiftung spielen sich die beiden Projekte einer Aachener Krönungsausstellung ab, die Gegenstand dieses Buches sind. In der erstmalig unternommenen systematischen Auswertung der erhaltenen Archivbestände liefert die Studie eine dichte Beschreibung der geschichtspolitischen Konstellationen bei der Planung der „Krönungs-Ausstellung 1915“ und bei der Durchführung der „Jahrtausendausstellung“ 1925. Es zeigt sich, dass die spätere Ausstellung im doppelten Sinne volkstümlicher war als ihr Vorgänger: einerseits geschichtspädagogisch auf breitere Volksschichten berechnet, andererseits im nationalistischen Sinne volkstümelnd. Der „nationale Exhibitionismus“, der in der Jahrtausendausstellung zutage trat, macht klar, wie wenig das Jahr 1933 im Rheinland eine ideologische Zäsur darstellte.
Rüdiger Haude Bücher




Organisierte Religion diente zu allen Zeiten der Herrschaftssicherung. Karl Marx erblickte in ihr zugleich den »Seufzer der bedrängten Kreatur«. Dass in der Religion auch eine wütende Anklage stecken kann, ja das über ihre Erzählungen transportierte Wissen sogar einen Schutzschild gegen die Entstehung von Herrschaft bilden kann, ist dagegen ein Wissen, das historische Befreiungsbewegungen zwar immer wieder aktualisiert haben, die Forschung aber zu vergessen droht. Rüdiger Haude rekonstruiert die herrschaftsfeindlichen Traditionen, die sich aus den Überlieferungen des richterzeitlichen Israels in das Korpus des alten Testaments eingeschrieben haben. Belege findet er nicht zuletzt in den berühmten Erzählungen von Jonas Seereise oder dem Turmbau zu Babel. Indem Haude die Erkenntnisse der Ethnologie zu segmentären Gesellschaften, neuere archäologische Funde und die historisch-kritische Analyse der Bibel zusammenführt, kommt er zu einem überraschenden Befund: »Hochkultur« und Anarchie sind durchaus vereinbar – mit radikalen Folgen auch für den Blick auf unsere eigene Zeit.
Herrschaftsfreie Institutionen
Texte zur Stabilisierung staatsloser, egalitärer Gesellschaften
- 244 Seiten
- 9 Lesestunden
Sind stabile herrschaftsfreie Gesellschaften denkbar? Haben staatslose Gesellschaften Jahrzehnte und länger überdauert und existieren sie noch immer? In den Sozialwissenschaften herrscht die Tendenz vor, »Regulierten Anarchien« entweder keinen politischen Stellenwert beizumessen oder ihnen doch eine verborgene Herrschaftlichkeit zu unterstellen. Mit beiden (ethnologischen bzw. historischen) Argumenten lässt sich die angebliche Unmöglichkeit von Herrschaftsabbau heute behaupten. Die Beiträge dieses hier in zweiter, durchgesehener Auflage vorliegenden Bandes setzen sich kritisch mit dieser Auffassung auseinander und zeigen an Beispielen wie Verwandtschaftsstruktur, Architektur und Spiel sowie dem altisraelitischen Glaubenssystem: Gerade „primitive“ Gesellschaften besaßen eine erstaunliche institutionelle Phantasie, um Herrschaftsfreiheit und egalitäre Verhältnisse dauerhaft sicherzustellen. Die beiden Verfasser Rüdiger Haude und Thomas Wagner sind Kulturwissenschaftler. „Die Aufsätze von Haude und Wagner sind ein bedeutender Beitrag zur Weiterentwicklung der vorliegenden Anarchie-Theorien“ (aus dem Vorwort von Christian Sigrist).