Lüthis Ansatz in der Märchenforschung eröffnet neue Perspektiven auf die Wesenserkenntnis und das Märchen als Ausdruck einer Kulturstufe. Das Ergebnis ist eine umfassende Phänomenologie des Märchens, die das Verständnis für dieses Genre vertieft.
Von Zaubermärchen und Lügenmärchen - eine Gattung im Wandel. Die Volksmärchen der Gebrüder Grimm, Hans Christian Andersens oder die Märchen aus Tausendundeinernacht stehen vielen Menschen lebhaft vor Augen. Wie aber sind sie entstanden? Wie hat sich die Gattung 'Märchen' entwickelt, und wodurch grenzt sie sich von Sage, Legende, Mythos, Fabel und Schwank ab? Max Lüthi, Doyen der Märchenforschung, förderte akribisch alle Feinheiten zu Tage. Seine Einführung avancierte zum Klassiker.
Max Lüthi zeigt uns, dass das Volksmärchen kein isoliertes und kurioses Phänomen, sondern ein spezifischer Bestandteil der gesamten menschlichen Kultur und Hochliteratur ist. "Kein anderer Forscher hat die Verbindungen der Märchenforschung mit der Literaturwissenschaft wieder so eng geknüpft wie er. Vor allem versteht Lüthi, jeden auch noch so einfachen Text nach seinen Leitworten zu befragen und so zu einer wesentlichen Aussage zu gelangen." (Lutz Röhrich). Dennoch wird der Lesegenuss weder durch übertriebene Wissenschaftlichkeit noch durch überspitzte Interpretationen getrübt. Ein Buch, das nicht nur Märchenkenner mitreißen wird.
Eine auf umfangreichen Quellen basierende Studie der künstlerischen Gestalt von Volksmärchen: Stil, Wirkung, Schönheitsbegriff, Motive und Menschenbilder
KLEINE REIHE V& R 4006 „Das Märchen besitzt die Freiheit des Gedankens und der Phantasie“ - so schreibt Max Lüthi in seinem Vorwort zur ersten Auflage von „Es war einmal.“; und er fährt fort: „ - aber beide sind nicht gesetzlos, sie fügen sich ganz bestimmten Ordnungen.“ Diese Ordnungen sichtbar zu machen und das Geheimnis des Märchenhaften zu lüften, ist das Verdienst des überaus erfolgreichen kleinen Werks, das auch heute noch frisch und gültig ist. Die versammelten Miniaturen behandeln Sinngehalt, Stil und Symbolik des Märchens, grenzen es von Sage und Legende im europäischen Kulturkreis ab und schlagen den Bogen zu den märchenartigen Erzählungen der Naturvölker. Die Lektüre fördert Überraschungen zutage: Vertrautes zeigt sich in neuen Zusammenhängen, und Unbekanntes erweist sich als inhaltlich wohlbekannt. So amüsiert uns die französische Dornröschen-Variante von der Belle au bois dormant, und im elsässischen Märchen vom Erdkühlein spiegelt sich das Schicksal des weit bekannteren Aschenbrödel. Lüthis profunde Interpretation bleibt zeitlos gültig, weder übertrieben wissenschaftlich noch tiefenpsychologisch überfrachtet, und bleibt dem Zauber des Märchenhaften verpflichtet. Max Lüthi (1909-1991) war von 1936 bis 1968 Deutschlehrer in Zürich und danach bis 1979 a. o. Professor für europäische Volksliteratur an der Universität Zürich. Er gilt als einer der bedeutendsten Märchenforscher des Jahrhunderts.