Philip Roth
19. März 1933 – 22. Mai 2018
Philip Milton Roth [ɹɑːθ] (geboren am 19. März 1933 in Newark, New Jersey; gestorben am 22. Mai 2018 in New York City) war ein amerikanischer Schriftsteller. Seine Romane, Erzählungen und Essays wurden vielfach ausgezeichnet und brachten ihm den Ruf eines bedeutenden Romanciers der Gegenwart ein, der in der Öffentlichkeit viele Jahre als Kandidat für den Nobelpreis für Literatur gehandelt wurde.
Roths Werke sind häufig autobiografisch geprägt. Seine Romanfiguren teilen seine Herkunft aus einer jüdischen Familie der unteren Mittelschicht, seine Geburtsstadt Newark, die späteren Wohnsitze New York und eine Farm in Connecticut sowie die Erfahrungen seiner beiden Ehen. Nachdem bereits Roths Erstling Goodbye, Columbus im Jahr 1959 positive Resonanz bei der Kritik gefunden hatte, wurde sein Roman Portnoy’s Complaint zehn Jahre später zu einem Skandalerfolg. Ab den 1970er Jahren begleitete die Figur Nathan Zuckerman sein Werk durch zwei Trilogien und mehrere Einzelromane. Im Oktober 2012 zog er sich vom Schreiben zurück. Philip Roth war das zweite Kind von Herman Roth (1901–1989) und dessen Frau Bess, geborene Finkel (1904–1981). Beide Eltern waren assimilierte amerikanische Juden der zweiten Einwanderergeneration. Die Großeltern mütterlicherseits stammten aus der Umgebung von Kiew, die Jiddisch sprechenden Großeltern väterlicherseits, Sender und Bertha Roth, aus Koslow in Galizien. Sender Roth war in Galizien als Rabbiner ausgebildet worden und arbeitete in Newark in einer Hutfabrik. Herman Roth, das mittlere von sieben Kindern und erstes Kind in den Vereinigten Staaten, arbeitete nach achtjähriger Schulzeit erst in einer Fabrik, wurde dann Versicherungsvertreter und verkaufte Lebensversicherungen von Haus zu Haus. Bis zu seiner Pensionierung brachte er es zum Bezirksdirektor der Metropolitan Life. Philip Roths fünf Jahre älterer Bruder Sanford (Sandy) Roth (1927–2009) studierte am Pratt Institute Kunst, wurde Vizepräsident der Werbeagentur Ogilvy & Mather in Chicago und machte sich nach seiner Pensionierung als Maler einen Namen. Philip Roth wuchs im jüdisch geprägten Stadtteil Weequahic in Newark, New Jersey auf. Seine Kindheit verlief behütet und weitgehend unbeschwert. Der vom Vater vorgelebte Patriotismus verknüpfte sich im Sohn mit der Liebe zum amerikanischen Nationalsport Baseball. Von 1946 bis 1950 besuchte er die Weequahic High School mit fast ausschließlich jüdischen Mitschülern. An der Rutgers University begann Roth ein Jurastudium, wechselte 1951 auf die Bucknell University in Lewisburg, Pennsylvania, wo er 1952 in die philosophische Fakultät übertrat und ein Studium der Englischen Literatur aufnahm. Im College emanzipierte sich der junge Student zunehmend von seinem Elternhaus, während die Opposition zur christlich-konservativen Ausrichtung Bucknells eine bewusste Abgrenzung und gestärkte Individualität nach sich zog. Gemeinsam mit zwei Kommilitonen gründete Roth 1952 die Literaturzeitschrift Et cetera, in der er seine ersten literarischen Versuche publizierte. 1954 nahm Roth das Hauptstudium an der Universität von Chicago auf, das er im Folgejahr mit dem Master of Arts abschloss. Unter dem Einfluss der Lektüre Saul Bellows gewann er Abstand zur akademischen Lehrmeinung über Literatur. Statt einer universitären Laufbahn verpflichtete sich Roth für zwei Jahre bei der Armee, wurde jedoch bereits 1956 mit einer Wirbelsäulenverletzung, die er sich in Fort Dix zugezogen hatte, entlassen. Im Anschluss kehrte er nach Chicago zurück und gab an der Universität Schreibkurse.Seit der Armeezeit schrieb Roth Kurzgeschichten, die in renommierten Literaturzeitschriften wie The Paris Review, Commentary oder The New Yorker erschienen. Nachdem er zuvor lange nach Thema und Ausdrucksstil gesucht hatte, griff der Autor nun erstmals auf seine Erfahrungen als Newarker Juden aus der unteren Mittelschicht zurück, die sein späteres Werk bestimmen sollte. Der Kurzroman Goodbye, Columbus erschien 1958 in der Paris Review und wurde im Folgejahr zur Titelerzählung von Roths erstem Buch, das bei dem bekannten Verlag Houghton Mifflin erschien. Der Erzählband erhielt viel Kritikerlob und im Jahr 1960 den National Book Award, wobei Roth als kommender Schriftsteller seiner Generation gehandelt wurde. Ebenso erhielt Goodbye, Columbus 1960 den Daroff Memorial Award of the Jewish Book Council, der „the best work of Jewish interest“ auszeichnet. Die Verleihung dieses Preises löste eine heftige Kontroverse aus, so dass der Jewish Book Council sich genötigt sah, seine Auswahlkriterien zu revidieren. Roth sah sich unversehens zwischen die Extreme heftiger Kritik und aufmunternden Lobes gestellt. Vor allem konservative jüdische Rezensenten warfen ihm neben Antisemitismus auch jüdische Selbstverachtung und die Beschädigung der eigenen Sache vor.Im Oktober 1956 lernte Philip Roth in Chicago die Sekretärin Margaret Martinson Williams kennen, die er im Februar 1959 heiratete. Die vier Jahre ältere geschiedene Mutter zweier Kinder von ganz anderer sozialer Herkunft gab Roth anfänglich gleichermaßen das Gefühl einer Herausforderung wie einer Befreiung. Später wuchsen die Probleme und Auseinandersetzungen in ihrer Beziehung, die der Schriftsteller später in Werken wie When She Was Good (Lucy Nelson oder Die Moral, 1967) oder My Life As a Man (Mein Leben als Mann, 1974) verarbeitete. In seiner Autobiografie The Facts (Die Tatsachen, 1988) avancierte Margaret als Josie Jensen gar zum „Gegenselbst“, zur „Erzfeindin und Nemesis“ des Autors. 1963 trennte sich das Paar, doch Margaret Roth weigerte sich, in eine Scheidung einzuwilligen. Fünf Jahre später starb sie bei einem Autounfall.Von 1958 an lebte das Paar in New York an der Lower East Side von Manhattan, 1959 verbrachten sie sieben Monate mit einem Guggenheim-Stipendium in Italien. Nach der Rückkehr ließen sich beide in Iowa City nieder, wo Roth an der University of Iowa den Writers’ Workshop leitete. Die Erfahrungen im kleinstädtischen Iowa fernab der amerikanischen Metropolen flossen in Roths zweiten Roman Letting Go (Anderer Leute Sorgen) ein, der 1962 erschien, im Unterschied zu Roths zuvor veröffentlichtem Erzählband Goodbye, Columbus bei den Kritikern jedoch gemischte Reaktionen hervorrief. So kritisierte etwa Stanley Edgar Hyman vor allem Schwächen im erzählerischen Aufbau des Romans, dessen beide Erzählteile nur oberflächlich miteinander verbunden seien, würdigte indes den aus seiner Sicht „schärfsten Blick für die Einzelheiten des amerikanischen Lebens seit Sinclair Lewis“. Letting Go ist zugleich der erste Roman, in dem Roth wie in zahlreichen späteren Werken die Schriften seiner literarischen Vorgänger zu einem integralen Bestandteil des Erzählgeschehens macht, und wird daher häufig auch als Roths erster „Henry-James-Roman“ bezeichnet.Im gleichen Jahr der Veröffentlichung von Letting Go wurde Roth 1962 Writer-in-Residence an der Universität Princeton. Nach der Trennung von seiner Frau begann Roth eine fünfjährige Psychoanalyse beim New Yorker Psychiater Hans J. Kleinschmidt, der die Fallgeschichte 1967 unter dem Titel The Angry Act: The Role of Aggression in Creativity anonymisiert in einer medizinischen Fachzeitschrift veröffentlichte. Im Juni 1963 reiste Roth zum ersten Mal nach Israel. Er nahm am American Jewish Congress teil, führte Diskussionen mit Intellektuellen und Premierminister David Ben-Gurion. Von 1965 bis 1977 hatte Roth einen Lehrauftrag für Komparatistik an der University of Pennsylvania. Roths skandalumwitterter Bestseller-Roman Portnoy’s Complaint (Portnoys Beschwerden) wurde 1969 zu einem Paukenschlag, der den Schriftsteller weithin öffentlich bekannt machte und zugleich die Diskussion der literarischen Pornographie in der amerikanischen Literaturkritik förderte. Der gleichermaßen komische wie obszöne Monolog über die Verquickung von Sexualität und Schuldgefühlen eines amerikanischen Juden wurde zu einem heiß diskutierten Bestseller, während sich über den Autor, der sich in die abgeschottete Künstlerkolonie Yaddo nach Saratoga Springs zurückgezogen hatte, Mythen verbreiteten, die ihn mit seinem Titelhelden Alexander Portnoy gleichsetzten. Die literarische Kritik reichte von begeisterter Zustimmung bis zum Vorwurf der mangelnden Seriosität. Abermals waren es jüdische Kritiker wie beispielsweise Leslie Fiedler, die dem Autor Illoyalität bis hin zum Antisemitismus unterstellten, während Kritiker wie Joseph C. Landis in der Diskussion um Roth und die jüdisch-amerikanische Erzählkultur eine diametral entgegengesetzte Position einnahmen. Vor der plötzlichen Popularität sowie den heftigen Anfeindungen zog sich Roth ins abgeschiedene Woodstock zurück, 1972 erwarb er eine Farm im Nordwesten Connecticuts.Die in der McCarthy-Ära begonnene Politisierung Roths verschärfte sich während des Vietnamkriegs. Mit der Satire Our Gang (Unsere Gang) nahm er 1971 den politischen Stil sowie die menschlichen und intellektuellen Qualitäten des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon in, wie Krieger schreibt, „galliger“ Form aufs Korn. Die Erzählung The Breast (Die Brust) aus dem Folgejahr, in der sich der Literaturprofessor David Kepesh in eine weibliche Brust verwandelt, weckt Anklänge an Franz Kafka, dem Roth unter seinen schriftstellerischen Vorbildern eine besondere Verehrung entgegenbringt. Die Suche nach Kafkas Spuren führte 1972 zum ersten Besuch Prags, dem sich jährliche Reisen anschlossen, bis dem Autor 1977 das Einreisevisum verweigert wurde. In der Tschechoslowakei lernte Roth die zeitgenössische tschechische Literatur kennen und hatte besonders mit Ivan Klíma, Milan Kundera und Ludvík Vaculík Kontakt. In der Folge propagierte er die osteuropäische Literatur in seiner amerikanischen Heimat und gab bei Penguin Books die Reihe Writers from the Other Europe heraus.Mit The Professor of Desire (Professor der Begierde), der Vorgeschichte von The Breast, wandte sich Roth 1977 wieder vom Surrealismus ab. Der Roman war der britischen Schauspielerin Claire Bloom gewidmet, mit der der Autor seit 1975 zusammenlebte. Das Paar verbrachte das Winterhalbjahr in London, den Sommer in Connecticut. In der folgenden Trilogie The Ghost Writer (Der Ghost Writer, 1979), Zuckerman Unbound (Zuckermans Befreiung, 1981) und The Anatomy Lesson (Die Anatomiestunde, 1983) machte Roth den jüdischen Schriftsteller Nathan Zuckerman zu einem dauerhaften Protagonisten seiner Werke. Als Alter Ego des Autors spiegelt er Roths eigenen Lebenslauf von den literarischen Anfängen, der plötzlichen Popularität bis zur Krise nach dem Tod der Mutter. Roths eigene Mutter war im Mai 1981 gestorben. Den Tod seines Vaters im Oktober 1989 verwand Roth nur schwer; er war gerade erst von einer Herzoperation genesen. 1991 widmete Roth seinem Vater den autobiografischen Roman Patrimony (Mein Leben als Sohn). In der Einsamkeit von Connecticut erlebte Roth 1987 einen Zusammenbruch, der von einem Schlafmittel mit halluzinatorischen Nebenwirkungen ausgelöst wurde. Die Erfahrung machte er, ebenso wie den Prozess gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk in Jerusalem, den er als Beobachter verfolgt hatte, zum Ausgangspunkt des 1993 erschienenen Romans Operation Shylock, der Begegnung eines fiktiven Philip Roth mit seinem Doppelgänger. Auch in London fühlte sich der Schriftsteller zunehmend isoliert und kehrte zurück nach New York, wo er ein Appartement an der Upper West Side bezog. Er übernahm von 1988 bis 1991 eine Professur für Literatur am Hunter College der City University of New York. Im Jahr 1990 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin Claire Bloom, doch die Ehe wurde nach wachsender Entfremdung und einer schweren Depression Roths samt Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik bereits 1994 geschieden. Bloom verarbeitete die problematische Beziehung zwei Jahre später in ihren Memoiren Leaving a Doll’s House.Roths Rückkehr aus Europa ging auch mit einer erneuerten literarischen Auseinandersetzung des Autors mit seinem Heimatland einher. Sabbath’s Theater (Sabbaths Theater), das 1995 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, gilt als Bekenntnis des Autors zu seiner amerikanischen Herkunft. In der amerikanischen Trilogie entdeckt das wiedererweckte Alter Ego Zuckerman die wahren Identitäten der Protagonisten eines Sportidols in American Pastoral (Amerikanisches Idyll, 1997), eines Radiostars in I Married a Communist (Mein Mann, der Kommunist, 1998) und eines emeritierten Professors in The Human Stain (Der menschliche Makel, 2000) vor dem Hintergrund wechselnder amerikanischer Epochen. American Pastoral wurde 1998 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und gilt als „ein bemerkenswertes Beispiel für eine literarische Interpretation des Abstiegs der zunächst so selbstsicheren [amerikanischen] weißen Nachkriegsgesellschaft in die Abgründe der Verunsicherung“ als Folge des Vietnamkriegs. In The Plot Against America (Verschwörung gegen Amerika, 2004) schreibt der Autor neben seiner eigenen Lebensgeschichte auch die Historie um und lässt Amerika mit Adolf Hitler paktieren, was Pogrome gegen die amerikanischen Juden nach sich zieht. Philip Roths letzte Werkperiode ist vor allem auch von den Themen Alter und Vergänglichkeit geprägt, auf die bereits zuvor die Romane The Anatomy Lesson (1983) und Sabbath’s Theater (1995) hingewiesen haben. Mit The Dying Animal (Das sterbende Tier, 2001) und Exit Ghost (2007) verabschiedete sich der Autor von seinen gealterten Protagonisten David Kepesh und Nathan Zuckerman. Roth letzte Arbeiten galten vier sogenannten „Short Novels“ (Kurzromanen), dem Quartett Everyman (Jedermann, 2006), Indignation (Empörung, 2008), The Humbling (Die Demütigung, 2009) und Nemesis (2010). 2009 starb sein älterer Bruder Sanford.Anfang der 2000er Jahre lernte Roth in seiner Literaturagentur Andrew Wylie die junge Lektoratsassistentin Lisa Halliday kennen. Aus einem gemeinsamen Mittagessen entwickelte sich eine Liebesbeziehung, die in eine lebenslange tiefe Freundschaft mündete. Halliday verarbeitete die Liebe und Freundschaft zu Roth in dem vielbeachteten autobiografisch inspirierten Roman Asymmetrie, den sie 2016 fertigstellte. Roth, der das Manuskript gelesen hat, mochte es.Gegenüber dem französischen Kulturmagazin Les Inrocks gab Roth im Oktober 2012 bekannt, dass Nemesis sein letztes Buch gewesen sei. Mit 74 Jahren habe er begonnen, seine Lieblingsautoren wie Dostojewski, Turgenew, Conrad oder Hemingway ebenso erneut zu lesen wie seine eigenen Werke. Er sei zum Ergebnis gelangt, das Beste aus seinen Möglichkeiten gemacht zu haben, und wolle weder weiter als Autor arbeiten noch neue Literatur lesen oder darüber sprechen. Wie er später erläuterte, fühlte er nicht mehr die geistige und körperliche Kraft in sich, eine längere kreative Arbeit zu bewältigen. Seine letzten Jahre lebte er als Ruheständler in der New Yorker Upper West Side. Am 22. Mai 2018 starb Philip Roth in einem Krankenhaus in Manhattan. Als Grabstätte hatte Roth schon zu Lebzeiten den Friedhof am Bard College ausgewählt, auf dem auch Hannah Arendt begraben ist; ein jüdisches Begräbnis wollte er nicht.