Bürgerliches Recht und Ordnung treffen während der Bayreuther Festspiele auf
den Straßenkrieg von Skins, die sich Haßkappen nennen, und auf die neue Welt
der Berechenbarkeiten durch Cyberspace und Wirklichkeits-Engineering. Die
Welten geraten durcheinander, die Wirklichkeit kippt vor und zurück auf der
Zeitachse. Der Anführer der Haßkappen wird zum Golem von Prag, der im 17.
Jahrhundert durch magische Kraft von jenem Rabbi Löw erschaffen worden sein
soll, in dem Scholem den Urheber der angewandten Mathematik sieht, die den
Golem unserer Tage, den Computer, hervorgebracht hat. Beide, der alte wie der
neue Golem, haben die Möglichkeit, der Kontrolle ihres Schöpfers zu entkommen
und zerstörerische Fähigkeiten zu entfalten. Das Festspielhaus wird von den
Haßkappen in Brand gesetzt. Götterdämmerung der alten Welt oder World War
Threeeeeeee? Keine überlebenden und keine Toten. Nur zwei Menschen sind übrig,
finden eine gemeinsame Sprache, die sonst keiner versteht und die zu nichts
oder weiß Gott wohin führt. Der Golem in Bayreuth (Text :Ulla Berkéwicz,
Musik: Lesch Schmidt) ist ein Musiktheaterspiel, das die Tradition des
Schiffbauerdammtheaters mit neuen Mitteln weiterzuführen sucht. Crossing over,
Pop into Classic.
Ulla Berkéwicz: Mordad, eine Erzählung. In Afghanistan ist Mordad der siebente
Monat des Jahres, der Hitzemonat Juli. Mordad ist aber auch: die Geschichte
eines unerhörten Vorfalls. Mordad erzählt - vielleicht - von einem Mord, den -
vielleicht - keiner, der ihn begangen haben könnte, begangen hat. Eine
Schriftstellerin, bekannt als Autorin historischer Romane, zieht sich in ein
Haus in einem Garten in der norddeutschen Stadt H. zurück, an einen ihr
fremden Ort, fremd genug, um dort fremd zu sein, um unbelastet von alten,
unbeeindruckt von neuen Eindrücken mit der Sucharbeit zu beginnen, fremd
genug, um dort vielleicht auf mich zu treffen, mich wiederzuerkennen, fremd
genug, um zu schreiben. Dort sitzt sie vor ihrem Fenster, auf ihrem Stuhl, an
ihrem Schreibbrett als Randfigur mit Zuschauerpart und Fensterplatz und wartet
auf den Einfall für die Geschichte, die sie schreiben will. Welche Geschichte?
Die Geschichte des Mannes und der Frau, die in dem anderen Haus des Gartens
wohnen? Die Geschichte, in die sie hineingezogen und hineingespielt wird von
dem Klavierstück, das die Frau jede Nacht spielt, bis der Mann am Morgen nach
Hause kommt? Dann kommt die Hitze. Sie sitzt auf ihrem Stuhl, vor ihrem
Fenster, geht nicht mehr aus der Wohnung, hält die Augen offen, die Stifte
gespitzt, die Seiten aufgeschlagen. Und wie die Schriftstellerin nun versucht,
die Akteure aus dem Garten heraus in eine Geschichte hinein zu schreiben, nach
Khorasan, ins alte Afghanistan, in die Mordad-Hitze dort hinein - da geschieht
es. Doch was geschieht? Die Mordtat? Der Mord? Mord an wem? An dem Mann, der
Frau oder dem, der plötzlich im Garten aufgetaucht ist? Keiner der Nachbarn,
die vernommen werden, weiß es, jeder erzählt eine andere, eine eigene
Geschichte, so daß es am Ende so viele Wirklichkeiten gibt wie die sie
behauptenden Personen, und diejenige, die nur um einen eigenen Text zu kämpfen
schien, hat nun mit der mörderischen, leibhaftigen Wirklichkeit des eigenen
Einfalls zu kämpfen. Ich wußte, daß die Geschichte, die ich angefangen hatte
zu erzählen, ohne mich weiterlief, gegen mich vielleicht, daß sie vielleicht
einen anderen Schreiber wollte oder gar keinen mehr, sich vielleicht
unbeobachtet ereignen wollte. Oder hatte diese von mir herbeigeschriebene
Handlung sich meiner bemächtigt? War ich eine Figur unter meinen Figuren
geworden? war ich eine Figur meiner Figuren, die mich als Zuschauer brauchten,
um wirklich zu sein? Mordad ist ein starkes Stück Literatur, das sich, wie
fast alle Arbeiten von Ulla Berkéwicz, mit der Aufhebung des Realitätsbegriffs
beschäftigt, indem es - mit den Mitteln der Phantasie - zeigt, wie materielle
Realitäten von imaginativen durchdrungen werden und wie sich die beiden Welten
auf einer neuen Ebene vereinen. Mordad ist aber auch, gerade weil es das
sogenannte Wirkliche in Frage stellt, ein Buch der Suche, der
Existenzausleuchtung - klar geschrieben, umstandslos auf sein Finale
zusteuernd und den Leser überraschend.
Ein Platz, Cafes und Bars, Tische und Stühle auf den Trottoirs. Leute, Autos,
Kreisverkehr. Happy Hour, die Stunde nach dem Strand und vor dem Essen. Leute
sitzen zusammen, reden, trinken, Urlaubstage auf einer spanischen Insel,
Horror vacui, die Leere, voll und fett . Wer sind die sechs Leute, die da
reden? Freunde derer, die sie beobachtet? Oder erfundene Figuren derer, die
sie erzählt? Spiegelbilder von denen, die unseren Alltag besetzen und sich
gegen die innere Leere alles einverleiben, von Vitamin Koks bis Vitamin Dirt?
Während die Erzählerin Szene um Szene beobachtet, gerät sie immer tiefer in
innere Existenzmuster hinein. Aus freigelegten Tiefenschichten steigt ein
Blick auf die Welt nach oben, der keine Schranken kennt.
Ich wird dir erklären, hat Leo mir gesagt: Adam, das waren Adam und Eva in
einem Körper vereinigt, ehedem. Das war der Mensch, den Gott gemacht hat, und
so war es gerecht, und warum es anders gekommen ist, kann ich dir auch nicht
sagen. Aber ich weiß: wenn die Liebe zwischen zwei Menschen kommt, dann hat
sie die Funktion von Leim, und die zwei können eins werden zusammen, wie Adam.
Und wenn ihnen kein Gedanke auf die Seite geht, dann hält der Kleister, und
sie haben das Paradies schon auf der Erde. Seit es Menschen gibt, gibt es den
Mythos von der einen, einzigen, großen Liebe, von dem zustand, in dem alles,
Freude und Schmerz, aufgehoben ist in einer Harmonie, die ertragen kann, was
immer ihr widerfährt. Aber seit es Menschen gibt, gibt es auch den Zweifel an
jenem Mythos, den Unglauben, die Skepsis, der große Traum könnte eines Tages
wahr werden. Dennoch: er ist virulent. Und beseelt von ihm ist die junge
Protagonistin dieses Buchs, Schauspielerin in Hamburg, wo es naß und kalt ist,
eine, die auf der Bühne spielt, was ihr durch den Kopf geht, und auf den
Straßen erlebt, daß das Leben meistens anders ist: kein Theater jedenfalls.
Aber wo immer sie sich aufhält, wartet sie auf das eine, den Einen, auf das,
was ihr fehlt. Unablässig denkt sie: Es gibt doch auch die zwei, die sich so
lieben, daß sie von Anfang bis Ende auf des anderen Seite gehen. Und sieht
alles, was ihr begegnet, im Lichte dieser Vision, die sie zur Fremden macht
für die anderen - und doch auch zur Vertrauten, weil es niemanden gibt, dem
die Vision fremd ist. Wann kommt er endlich? Oder ist denn alles nur Kino?
Oder Theater? Oder doch möglich? In Hamburg, wo es naß und kalt ist? Die
Schauspielerin hat ein Happy-End - und weiß zugleich, daß der letzte Akt noch
immer nicht wirklich stimmt. Vision bleibt Vision. Ulla Berkéwicz wagt sich in
diesem Buch an ein schwieriges Thema, an einen Stoff, der unendlich oft schon
beschrieben, besungen und gespielt worden ist. Doch dadurch, daß sie Adam an
einem Ort ansiedelt, wo alles ohnehin nur Theater ist, wo Unter- und
übertreibung vornehmlich dazu dienen, einen Stoff schärfer zu konturieren und
damit plastischer und lebendiger zu machen, schafft sie eine Atmosphäre, in
dem das Unglaubliche, schwer zu sagende plötzlich glaubhaft und sagbar wird.
Es ist hier nichts irreal - die Stadt nicht, die Geschichten nicht, die in der
Stadt spielen, das Theater nicht, die Schauspielerin und ihre Kollegen nicht,
auf den die Protagonistin wartet, um mit ihm Adam zu sein. Mach dich auf und
mach dich glücklich. Du läßt den Mann, den du liebst auf die Maße eines
Fabelwesens anwachsen, gut, gut, die Bäume wachsen in den Himmel, die Sache
ist unendlich. Aber vergiß nicht, wahr ist nur die Harmonie, und obgleich dem
Anschein nach zwei, sind wir im Wesen eins, so wie das erste Paar ...
Viele sind aus dem Dorf in die Stadt gezogen. Zurückgeblieben sind die Alten,
die Frauen, die Kinder. Auch Michel ist fortgegangen; sie wartet auf seine
Rückkehr. Weil sie vergeblich wartet, macht sie sich auf den Weg in die nie
zuvor gesehene Stadt, um Michel zu suchen. Der Weg führt sie zu den Lebenden
und den Toten und zu den Aufständischen, mit denen Michel arbeitet; sie
bereiten den Untergang der Stadt vor. Sie träumen vorwärts, denn sie erträumen
eine neue Welt. Das Buch ist eine Liebesgeschichte, eine Parabel. Es ist ein
apokalyptisches Bild, aus dessen Trümmern das Neue erwächst. Es ist eine
Vision von Untergang und Rettung. Wo verläuft die Grenze zwischen Wirklichem
und Unwirklichem? Die traumsicheren Bilder fangen die Hoffnung ein.