Tomás González konzentriert sich auf Kolumbien, woher der Großteil seines literarischen Schaffens inspiriert ist und spielt. Sein Schreiben, das in den siebziger Jahren nach dem Philosophiestudium begann, zeichnet sich durch eine tiefe Auseinandersetzung mit der menschlichen Erfahrung aus. Durch seine Romane, Kurzgeschichten und Gedichte erforscht er Themen, die tief in der kolumbianischen Lebensweise und Identität verwurzelt sind. González' einzigartiger Stil ist bekannt für seine intime und nachdenkliche Qualität, die den Leser in das Innenleben seiner Charaktere und ihre Welten eintauchen lässt.
Tomás González ist einer der aufregendsten Erzähler Kolumbiens. Seine Romane kommen scheinbar leise daher, aber sie haben einen langen Nachhall, sie nisten sich tief im Herzen ein. So auch »Das spröde Licht«. Eine Familie, drei Söhne. Jacobo, der Älteste, ist nach einem schweren Unfall vom Hals ab gelähmt. Das ist nicht das Schlimmste, das Schlimmste sind die Schmerzen, die so unerträglich werden, dass er ihnen schließlich im Freitod ein Ende setzt. In einer klaren, messerscharfen Sprache erzählt Tomás González die Geschichte einer Familie, die es vermag, den Tod in ihr Leben zu lassen, um sich umso mehr ihrer Liebe zu versichern. Ein wunderbarer Roman, der einen nicht nur Traurigkeit, sondern auch viel Zuversicht und Liebe zum Leben schenkt.
Tomás González ist bekannt dafür, dass seine literarischen Figuren dem Leser unvergesslich bleiben. Das gilt sowohl für die ›Helden‹ seiner Romane – den sterbenden Horacio in Horacios Geschichte und den glücklosen Aussteiger J. in Am Anfang war das Meer – als auch für die zahlreichen Nebenfiguren. Auch von den Protagonisten der drei in diesem Band vereinten Erzählungen kommt man nicht mehr los. Boris ist ein Maler, den der Tod eines geliebten Menschen aus der Bahn wirft und der nach seinem langsamen Abstieg in die Welt der Gestrandeten in New York sich in einer neuen Lebensform fängt. Carola Dickson, eine verschrobene ältere Lehrerin aus Brooklyn, macht sich nach ihrer Pensionierung in einem untauglichen Segelboot auf, um die Menschheit zu retten. Und William, ein erfolgreicher Unternehmer in Cali, ist von seiner Tanzleidenschaft so besessen, dass er zu einem gespaltenen Menschen wird und ein Doppelleben führt. Zwei der Protagonisten, Boris und William, sind Menschen, die sich wandeln; Carola Dickson dagegen ist eine unverbesserliche Weltverbesserin, die ihr Vorhaben bis zum unvermeidlichen Ende hartnäckig verfolgt. Alle drei sind gegenüber der Welt, aus der sie kommen, Rebellen. Doch obwohl Boris zum Stadtstreicher wird, Carola Dickson Schiffbruch erleidet und William sich zum Schluss als Strassenverkäufer durchschlagen muss, sind dies keine Geschichten des Scheiterns. Es sind Reisen an die Grenze der menschlichen Erfahrung, Erzählungen von der Freiheit und Würde des Menschen, von seiner Grösse. 'Darin liegt die Kunst des Tomás González, den Einzelnen so ernst zu nehmen, dass er ihm in seinem Scheitern Würde, in seinem Selbstbetrug Grösse gibt und sogar in seinem Sterben auf wunderbare Weise so etwas wie Lebenskraft zu entdecken vermag.' Neue Zürcher Zeitung
Fontane hat mit koketter Bescheidenheit über sein Meisterwerk, den Stechlin, gesagt: 'Zum Schluss stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich – das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht.' Ähnlich knapp liesse sich der Inhalt von Horacios Geschichte wiedergeben: Ein etwas neurotischer Mann, der eine grosse Familie hat, Antiquitäten sammelt, an seinem Auto hängt, viel raucht, sich zwei Kühe hält und am Ende stirbt. Geschildert werden die letzten 20 Monate von Horacios Leben, zu dem die trivialen Unterhaltungen und Vorkommnisse des Alltags ebenso gehören wie Krankheiten und Unglücksfälle in der Familie. Eine einfache, unspektakuläre Geschichte, die dadurch zum Meisterwerk wird, dass der Autor eine eigene Sprache gefunden hat, mit der er den Leser, die Leserin fern von den ›Markenzeichen‹ der kolumbianischen Literatur – dem magischen Realismus, dem miserabilismo, dem Auswalzen der Gewalt – empathisch und kompetent an seine Figuren heranführt und diese lebendig, verständlich, einmalig macht. Dabei entsteht das Porträt einer kleinbürgerlichen Familie, deren Mitglieder sehr aufeinander bezogen sind und sich unentwegt besuchen – und trotzdem einsame Menschen bleiben. Die Hauptpersonen des Romans, die ausführlich dargestellt werden, sind neben Horacio seine Brüder Elías (ein Schriftsteller) und Álvaro (Inhaber eines Lotteriebüros) sowie ihr Schwager, der Arzt Eladio. An Horacios Seite erleben wir seine Frau Margarita und seinen Sohn Jerónimo. Aber auch sekundäre Figuren – das Hausmädchen Carlina, der Bauer Pacho, Margaritas Schwester Martica, Elías’ Frau Beatriz, der Schieber Carenalga, der Richter Ariel, Eladios Patienten – werden mit knappen, sicheren Strichen einprägsam gezeichnet. Eine besondere Rolle spielen die von Horacio liebevoll umsorgten Kühe: In einem Buch, in dem der Tod von Anfang an präsent ist, sind diese sich ständig reproduzierenden Tiere das Symbol des Lebens. Der Roman ist in Envigado angesiedelt, einem kleinen Ort an der Peripherie von Medellín, in den Jahren 1960/61, das heisst, an einer Zeitenwende: Es ist die Zeit der zunehmenden Industrialisierung, der beginnenden Bedrohung des ökologischen Gleichgewichts, der einsetzenden Emanzipation der Frau in Kolumbien. Es ist auch die Zeit des ›Atemholens‹ zwischen der politischen Violencia (1948–53) und der bevorstehenden Zerrüttung des Landes durch Guerrilla, Paramilitärs und narcotráfico. Um das Problem seines Landes zu charakterisieren, genügen dem Autor ein paar treffende Zeilen über die Untaten und das Ende einer Bande von Viehdieben, über den Verletzten aus der Bar von Añoranzas oder über die Bolívar-Statuen in den Parkanlagen. Einen Sterbenden aber in seinem letzten Jahr zu begleiten – das ist ein Thema, mit dem Tomás González die Grenzen Kolumbiens überschreitet und in die Weltliteratur vordringt. 'Seit ›Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt‹ habe ich nicht mehr so etwas Wunderbares gelesen. Carmen Balcells
Der Protagonist dieses Romans hat keinen Namen. Er wird 'der, der sich zwischen den Pflanzen verliert' genannt. Wir kennen ihn bereits aus Tomás González’ früher erschienenen Romanen: In Horacios Geschichte ist er noch ein Jugendlicher, einer von Álvaros Söhnen, Jerónimo Guillermos Vetter, J. s und Davids Bruder und wird als 'der, der etwas von Bäumen verstand' vorgestellt. In Am Anfang war das Meer ist er der 'Verwandte', von dem sich J. um seine Erbschaft betrogen fühlt und der am Ende J. s Beerdigung effizient und herzlos in die Hand nimmt. Der Roman beschreibt, wie der Protagonist eine Finca am Rand der Grossstadt Medellín erwirbt und bewirtschaftet. Diese Bewirtschaftung – ein kontinuierlicher Ausbau und eine ständige Verschönerung des kleinen Landguts –, die er und seine Frau Pilar mit eigenen Händen betreiben, führt die beiden in eine immer grössere Einsamkeit. Es ist ein vielschichtiger, tiefgründiger, geheimnisvoller Roman, das Charakterbild eines Mannes, der – vor einer Schuld fliehend? – sich zunehmend von der Welt abkapselt und von der Vegetation, die er selbst hervorbringt, schlucken lässt. Mit der Finca schafft sich der Protagonist durch unermüdliche Arbeit ein von der verpesteten, habgierigen, gewalttätigen Aussenwelt abgenabeltes Mikroparadies, das zugleich eine Hölle ist, weil ein Übermass an Schönheit und Perfektion etwas Erstickendes hat und weil er sich selbst nicht entfliehen kann. Neben dem Protagonisten und seiner Frau werden mehrere Familienangehörige – unter anderen J. als junger Heisssporn in Medellín und David, das alter ego des Autors – und viele Nebenfiguren lebendig. Kurz gesagt: Das Buch ist die spannende, brillant erzählte Geschichte eines Scheiterns innerhalb eines Scheiterns, der persönliche Schiffbruch des Protagonisten innerhalb des Niedergangs der kolumbianischen Gesellschaft (hier aufgezeigt am Beispiel der Stadt Medellín).
Dies ist die Geschichte von zwei Aussteigern aus der bürgerlichen Gesellschaft Medellíns in den Jahren 1976/77. Die Protagonisten, J. und seine Freundin Elena, brechen aus dem oberflächlichen, nur auf Konsum und Vergnügen ausgerichteten Leben der Millionenstadt aus und wollen auf einer entlegenen Finca an der karibischen Küste Kolumbiens neu anfangen. Der Roman schildert ihre Ankunft in einer für sie fremden Welt, ihre Begegnung mit der Kultur der Schwarzen, ihre Anstrengungen, sich in dem heruntergekommenen Landhaus einzurichten und die Finca zu einem einträglichen Unternehmen zu machen. Der Autor zeigt durch minutiöse Schilderung weniger wesentlicher Vorfälle, wie dieser Traum von einem neuen, einfachen Leben auf dem Land scheitert. Es ist ein Scheitern auf der ganzen Linie, das Scheitern aller Hoffnungen, Visionen und Pläne: das Scheitern des wirtschaftlichen Projekts, von der Finca leben zu können; das Scheitern von J. s und Elenas Versuch, sich in der fremden tropischen Welt zu assimilieren; das Scheitern von J. s und Elenas Beziehung: Elena verläßt die Finca und kehrt nach Medellín zurück; und schließlich J. s Scheitern als physische Existenz: Das Buch endet mit seinem Tod. Man könnte sagen, J. s und Elenas Schicksal entwickelt sich mit der Unausweichlichkeit einer griechischen Tragödie. Dennoch erzählt der Autor keine traurige oder deprimierende, sondern eine absolut stimmige und konsequente, einleuchtende, zutiefst menschliche, ja, sogar tröstliche Geschichte. Tomás González‘ Leitmotiv in all seinen Romanen ist die beständige Wiederkehr des Lebens. In „Horacios Geschichte“ hat er dies an den sich unablässig reproduzierenden Kühen deutlich gemacht; in „Am Anfang war das Meer“ sind es die sich immer erneuernden Palmen am Strand. González besitzt die Kunst, dem Tod seinen Schrecken zu nehmen und zeigt, daß er zum Leben gehört, daß der Mensch Teil der Natur ist, aus der Natur kommt und nach seinem Tod wieder in die Natur eingeht. 1984, kurz nach dem Erscheinen des Romans, urteilte der bedeutende Historiker und Kritiker Jorge Orlando Melo: 'Ohne dass direkte Einflüsse oder Vorbilder zu sehen sind, atmet dieser Roman die Hoffnungslosigkeit der klassischen Werke Onettis, geht der Autor mit dem psychologischen Feingefühl zu Werke, das wir von Updike kennen, und finden wir diese Verquickung von Poesie und Untergang, die für viele Erzählungen Malcolm Lowrys charakteristisch ist – und dabei steht Tomás González den Meistern in nichts nach.'
Als nichtsnutzige Versager betrachtet der jähzornige, misanthropische Hotelbesitzer seine fast erwachsenen Zwillingssöhne Mario und Javier. Und nachdem sie jahrelang unter ihm gelitten haben, bringen die beiden Brüder dem herrischen Vater ihrerseits lang gewachsene Ablehnung entgegen. Schließlich hat nicht zuletzt dessen schamloses Verhältnis mit einer anderen Frau, aus dem sogar ein weiteres Kind hervorgegangen ist, ihre Mutter krank gemacht – ein offenes Geheimnis in dem kleinen Küstenort. Eines Nachmittags begeben sich Vater und Söhne zum Fischen auf hohe See. Doch vor der karibischen Küste braut sich ein schweres Unwetter zusammen, die Hitze ist drückend, die Stimmung aufgeladen. Als ihr Motorboot in Seenot gerät und der Vater plötzlich über Bord geht, erkennen die Brüder eine Chance, die so verlockend wie grausam ist. In siebenundzwanzig vielstimmigen Kapiteln schildert Tomás González die schicksalsträchtigen Stunden, in denen ein fest verwurzelter Konflikt unaufhaltsam auf seinen Höhepunkt zusteuert und in denen zwei Brüder eine Entscheidung über Leben und Tod fällen müssen. Vordergründig still, erzählt González eine dramatische Geschichte von der Dimension einer griechischen Tragödie.
Kurz vor Erscheinen seines fulminanten Debütromans Am Anfang war das Meer (1983) zog der kolumbianische Schriftsteller Tomás González mit seiner Frau und seinem Sohn aus ökonomischen Gründen von Bogotá in die USA und lebte zunächst drei Jahre in Miami und dann 16 Jahre in New York. 2002 kehrte er nach Kolumbien zurück. In unserer Auswahl von 13 Erzählungen wird dieser Lebensweg in gewissem Sinn literarisch nachgezeichnet. Die ersten sechs Texte spielen in den USA, die letzten sechs in Kolumbien, dazwischen das Bindeglied einer befreienden Rückkehr. Das Spektrum von González’ Themen und literarischen Mitteln ist breit. Eine nebensächliche Zeitungsmeldung in New Orleans verwandelt der Autor in die unsterbliche Story von Carola Dicksons verrückter Ausfahrt zur Rettung der Welt. In der Geschichte des demenzkranken Don Rafael und dessen Frau Jesusita beschert er uns eine spannende Variation – die Umkehrung – des Orpheus-und-Eurydike-Motivs. In anderen Texten gibt es Szenen von Beckettscher und Tschechowscher Qualität. Peter Stamm sagte über ihn: »González schreibt einen sehr trockenen, aber zugleich unglaublich atmosphärischen Stil. Die Geschichten sind dunkel, aber es ist, als leuchteten sie von innen.«
Die versandete Zeit ist Tomás González‘ komplexester, ehrgeizigster Roman. Und viele seiner Fans sagen, er sei sein schönster. Dem Autor gelingt mit diesem Buch das Kunststück, einen Bogen zwischen den Zeiten (1911–1978) und zwischen den Kontinenten (Südamerika–Europa) zu spannen, ohne dass die Geschichte ihm aus der Hand gleitet und ausfranst. Die versandete Zeit ist in erster Linie eine Liebesgeschichte, und zwar über Josefinas lebenslange Liebe zu Alfonso, der eines Tages aus der Provinz in die Hauptstadt und dann in die Welt aufbricht und nach seiner Rückkehr eine andere heiratet. Aber das Buch ist noch vieles mehr: Es ist ein Reisebuch durch das Kolumbien vor 100 Jahren, in dem die Landschaften, die damals gebräuchlichen Verkehrsmittel und das soziale Ambi- ente zu Beginn des technischen Zeitalters lebendig werden. Es ist ferner ein Brückenschlag von Kolumbien nach Europa, weil Alfonso in Belgien vom Ersten Weltkrieg überrascht und Zeuge der Kriegsgräuel wird (insofern ist es auch ein Antikriegsbuch). Und es ist schliesslich ein Buch über das Schreiben eines Romans, denn der Autor, der als der Chronist León auftritt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte von Alfonso und Josefina anhand von Alfonsos Tagebüchern und durch Befragung der alten Josefina zu erforschen, und lässt die Lesenden an diesem Prozess teilhaben. 'Das Buch handelt von der Zeit und der Erinnerung, vom Versanden der Erinnerung', sagt der Autor. Und hat zugleich seine Protagonistin unsterblich gemacht. Denn die Kapitel, die von der greisen Josefina handeln, sind die zartesten und zärtlichsten Seiten, die die kolumbianische Literatur hervorgebracht hat.