„Ethnische Säuberung wie im früheren Jugoslawien ist ein eminent modernes Phänomen“ und nicht, wie es oftmals von Politikern und Journalisten behauptet wird, ein Resultat „uralten Hasses“. Norman Naimark legt dies in seinen Fallbeispielen überzeugend dar. Er kann zeigen, daß diese Fälle ethnischer Säuberung in das europäische 20. Jahrhundert eingebettet und unlösbar mit ihm verbunden sind. Das Buch macht auf beklemmende Weise klar, daß ethnische Säuberung eines der charakteristischen Merkmale der Politik des 20. Jahrhunderts gewesen ist, und daß gleichzeitig dieses Jahrhundert den notwendigen politischen Kontext für ethnische Säuberung geliefert hat. Der mit dem Begriff „ethnische Säuberung“ bezeichnete Versuch der gewaltsamen Trennung ethnischer Bevölkerungsgruppen zur Vermeidung von Konflikten ist nicht in erster Linie ein Produkt eines seit Jahrhunderten überlieferten nationalen Antagonismus, sondern hat seine Ursachen in den politischen Zielen und Technologien des modernen Nationalstaates. - Ein grundlegendes Buch zur Geschichte der Gewalt im 20. Jahrhundert.
Norman Naimark Bücher
Dieser Autor ist auf Osteuropastudien spezialisiert und erforscht die komplexen historischen und politischen Fragen dieser Region. Seine Arbeit konzentriert sich auf ein tiefes Verständnis historischer Prozesse und deren Auswirkungen auf die Gegenwart. Durch sein Schreiben bietet er aufschlussreiche Perspektiven auf die Dynamik von Macht und gesellschaftlichem Wandel. Seine Analysen werden für ihre Tiefe und intellektuelle Strenge geschätzt.





Genozid oder Völkermord ist das schlimmste aller Verbrechen im Völkerstrafrecht, im Englischen deshalb auch als 'crime of crimes' bezeichnet. Gemeint ist der Versuch, nationale, ethnische, religiöse oder eben auch politische und soziale Gruppen ganz oder teilweise auszulöschen. Ausgehend von der UN-Definition des Völkermords von 1948 untersucht Norman M. Naimark die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des Genozids von den Anfängen bis heute. Er zeigt, wie sich der Genozid in verschiedenen Zeiten unterschied, macht aber ebenso dessen Kontinuität in seiner mörderischen Dynamik über Epochen und Kontinente hinweg deutlich. Eindrücklich stellt er sowohl den Holocaust oder den Völkermord an den Armeniern, die Massaker in Ruanda oder Srebrenica in den jeweiligen historischen Zusammenhang. Er bezieht aber auch den Völkermord von Siedlern und Kolonialisten mit ein und zeigt, wie die Auslöschung der indigenen Bevölkerung in Afrika oder Amerika jüngste historische Entwicklungen beeinflusst.
Unter Stalin wurden in den 30er Jahren mehr als eine Million Sowjetbürger umgebracht, Millionen andere starben durch Zwangsarbeit, Deportation, Hungersnot, Lagerhaft oder während Folterverhören. Diese Verbrechen galten zu Zeiten des Kalten Krieges nicht als Genozid. Die hohen Ideale für die Stalin angeblich gekämpft hatte, verhinderten eine Auseinandersetzung. Zudem galt diese Verfolgung der eigenen Bevölkerung als Teil der Kriegsvorbereitung; der Ausgang des Zweiten Weltkriegs schien dieses Vorgehen zu rechtfertigen. Auch nach internationalem Recht galt der Mord an sozialen oder politischen Minderheiten nicht als Genozid. Norman Naimark erweitert die Kriterien für den Genozid – die UN-Konventionen von 1948 waren unter großem sowjetischen Einfluss entstanden – und kann so darlegen, daß der von Stalin befohlene Massenmord ein Genozid war. Er erzählt die erschütternden Geschichten der systematischen Vernichtung. Er betrachtet die Unterwerfung und Auslöschung der sogenannten Kulaken, den Holodomor, also die Ermordung durch Hunger in der Ukraine, die Unterdrückung und Ermordung von »Volksfeinden« und die Große Säuberung zwischen 1936 und 1938. Und er kommt zu dem Schluß, daß der Genozid – ähnlich wie der Holocaust – nicht ohne die Figur des charismatischen Diktators möglich war.