Im Mai 1954 öffnet Francis Ponge. unter der eigentümlichen Überschrift «L’Opinion changée quant aux fleurs» in Paris ein kariertes Spiralnotizheft und beginnt mit der Niederschrift von Aufzeichnungen im Hinblick auf ein kommendes Buch, über das er im Juni 1954 mit Pascal Pia, dem literarischen Leiter der «Editions du Saggitaire», einen Vertrag abschließt. Die Aufzeichnungen aber, in denen Ponge die Änderung der Ansicht über Blumen festzuhalten beginnt, finden nicht nur kein Ende, sondern beschreiben das Scheitern des Vorhabens, die angefangene Änderung (der Ansicht über Blumen) zu Ende zu bringen und in Druck zu geben. Das Manuskript bleibt, unabgeschlossen und unabschließbar, Entwurf. Als habe die (angefangene) Änderung der Ansicht über Blumen auch die Änderung der Ansicht über das kommende Buch, ja über Bücher überhaupt, in Gestalt von Florilegien, Anthologien, Blütenlesen, oder in Gestalt von Sammlungen getrockneter, gepreßter und gebundener oder loser Blätter angegriffen. Als löste die Änderung der Ansicht über Blumen auch eine Änderung der Ansicht über Worte, über beeindruckende Worte wie über Worte im Druck aus, denen die Aufgabe anheimgestellt war, die Änderung der Ansicht über Blumen zum Ausdruck zu bringen. Denn was diese anfangenden Aufzeichnungen aufs Spiel setzen, ist das eingefahrene und abgegriffene Verhältnis zwischen Worten und Blumen, das von der Frage des Ausdrucks – bebend – unterhalten wird. Was den Vergleich von Worten mit Blumen, von Blumen mit Worten (unausdrücklich) unterhält, ist der Vorsatz, den Ausdruckscharakter von Worten, wie Blumen, zum Ausdruck zu bringen und in der Expressivität das Wesen der Sprache wie der Pflanzen gelegen zu sehn. Dieser opinio communis tragen Ponges changierende Aufzeichnungen (aber ohne zu schließen) Änderungen ein. Jedes Wort, das sie verzeichnen, unterbricht den Eindruck, den es (auf den ersten Blick) verbreitet: eine Ansicht, die Änderung der Ansicht über Blumen (und sei es durch die Blume) zum Ausdruck zu bringen. Erst 14 Jahre später, im Frühjahr 1968, hat Francis Ponge, unter dem selben Titel, Auszüge aus dem handschriftlichen Material in der Zeitschrift «L’Éphémère» erscheinen lassen. Das vorliegende Buch (ein Buch am Rand all dessen, was jemals als Buch gegolten hat) legt zum erstenmal, aus dem Nachlaß herausgegeben, im Faksimile der Handschrift jene Blätter vor, die nicht einfach ein unabgeschlossenes poetisches und poetologisches Projekt dokumentieren, das einer der bedeutendsten französischen Dichter des 20. Jahrhunderts hinterlassen hat, sondern die – darin liegt das Unerhörte dieser Seiten – der überlieferten Auffassung vom Dichten im Zeichen des griechischen poiein (herstellenden Verfertigens im Hinblick auf ein fertiges Gedicht) Änderungen eintragen, die den Willen zur Fertigkeit im Umgang mit Sprache wie mit allem, was durch Sprache ausgedrückt schien, aus der Fassung bringen. Die Edition des handschriftlichen Dossiers wird von einem philologischen Kommentar mit Teiltranskriptionen und Erläuterungen, vom Abdruck der französischen Auszüge in der Zeitschrift «L’Éphémère», ihrer deutschen Übersetzung und einem Essay des Herausgebers begleitet.
Francis Ponge Bücher
Dieser französische Essayist und Dichter wurde für seine Fähigkeit bekannt, alltägliche Objekte minutiös zu untersuchen. Beeinflusst vom Surrealismus nahm sein Werk oft die Form von Prosagedichten an. Ponge konzentrierte sich auf detaillierte Beschreibungen und das Aufdecken verborgener Bedeutungen in den gewöhnlichsten Dingen. Sein einzigartiger Ansatz in Bezug auf Sprache und Objekte bietet den Lesern eine neue Perspektive auf die Welt um sie herum.







Ausgewählt von Christoph Schwerin, enthält dieses Buch einen Aufsatz von Jean-Paul Sartre und umfasst 296 Seiten.
Texte zur Kunst
- 137 Seiten
- 5 Lesestunden
Schreibpraktiken oder die stetige Unfertigkeit
- 124 Seiten
- 5 Lesestunden
Francis Ponges Schreibpraktiken stellen die Entstehung, die »poetische Eroberung« eines Textes mit allen Ansätzen, Umwegen und Irrtümern gleichberechtigt neben das fertige Werk. Ponge (1899-1988), der wie kein anderer seiner Zeitgenossen die Grundlagen seiner Arbeit reflektiert hat, legt hier ein kleines Handbuch zur Dichtkunst vor.
Dem Tisch, Schauplatz und Bestandteil des schriftstellerischen Tagwerks, Aufenthalts- und Vollzugsort für Tausende von Dingen und Handlungen, widmete Francis Ponge seine zwischen 1967 und 1973 entstandene Schrift „la table“. In zahlreichen, kaum den Umfang einer Seite überschreitenden, tage- buchartigen Notizen nähert sich Ponge dem Phänomen aus verschiedenen Blickwinkeln. So finden sich Überlegungen zur lautlichen und graphischen Besonderheit von „la table“, Thesen zur Etymologie, zu den Bestandteilen oder zur „Potentialität“ des Wortes ebenso wie Splitter persönlicher Erinnerung und emotionale Anreden des Möbels, ja sogar regelrechte Liebeserklärungen. Ponge verstand seine Arbeit, die zwischen philologischer Akribie und kühner Spekulation changiert, als Beitrag zu einer enzyklopädischen Kosmologie, deren Erkenntnisinteresse über jenes der akademisch institutionalisierten Wissenschaft in Richtung Moral und Politik hinausreicht. „Der Tisch“ ist ein Herzstück dieses exzeptionellen Programms einer „poetischen Physik“.
Proemes
Das neue lot


