Als das Mädchen vor der Hütte saß und nachdenklich einen Grashalm kaute, hörte es plötzlich eine Stimme: He, du! Ich wusste gar nicht, dass Menschenkinder auch Gras fressen!§§Libuse blickte um sich, konnte die Stimme hören, aber keinen dazu passenden Körper entdecken.§§He, bist du blind? Ich stehe ziemlich nahe vor dir. Sagte die Stimme hämisch.§§Libuse blinzelte. Das einzige, was sie sah, waren ein paar Vögel in den Bäumen und die frei laufenden Kühe, die frühmorgens bereits lautstark damit beschäftigt waren, das würzige Almgras zwischen ihren Zähnen zu zermalmen.§§Na, siehst du mich? Hörte sie die Stimme direkt von der Wiese her. Sie konnte sich nicht täuschen. Schließ die Augen, kleine Libuse, und gehe immer geradeaus. So wirst du mich finden. Sagte die Stimme. Libuse gehorchte und marschierte barfuß durch die taufeuchten Grashalme, streckte die Ärmchen vor sich aus und traumwandelte in Richtung der Stimme, bis sie plötzlich von einem warmen, weichen Bauch gestoppt wurde. Genau, ich bin's! ....
Lydia Mischkulnig Bücher






Die Böhmische Bibel verquickt Mythos und Müll zu Puppen, in denen Menschen stecken. Ein Arzt, der Traumfrauen verwirklicht und Kinderwünsche erregt. Ein japanischer Zauberer mit Rucksack statt Hut. Politische Erlöser und Menschenrechtsverteidiger, die sich nicht mögen. Eine Gottestochter. Prag. Schwelle. Stromschnelle. Im Ton schwingt die unheilige Schrift, zwischen Gospel, Jazz und Soul - Breton, der Alte, ist auch dabei und Kafkas fliegender Erzähler. Unsägliches wird sagbar. Crossover und Ordnung, ein paar Meter über dem Boden. Künstliche Menschen explodieren, Fremde vermehren sich, Figurinen mit Präsidentenhirnen dürfen ihren Platz einnehmen und sich geschlechtsverwandeln. Der Schrei nach Hilfe und Halt. Sind wir etwa auf einem psychotischen Trip à la Hieronymus Bosch? Theologisch hintergründig wird die Vaterrolle im globalen Mix von Religion, Politik und Medienikonografie ausgespielt. Wobei klar ist, ohne Vater geht gar nichts, aber wer ist es durch wen? Die Erbsünde ist eine Aufzählerei - wo gezählt wird, wird auch bezahlt, und zwar mit dem Leben. Die Böhmische Bibel legt Zeugnis ab von einer Utopie des Verstehens, ohne sie wäre das ganze Leben nur halb so wild.
Als Kinder sind Marie und Renate unzertrennlich. In einer Familie, die geprägt ist von Verlust und Misstrauen, schafft Renate für ihre Schwester eine eigene Welt aus der Sehnsucht nach Unversehrtheit und Glück. Doch dann, Jahre später, tritt Paul in das Leben der Mädchen und spaltet ihre vermeintliche Einheit. Von beiden umworben, entscheidet er sich für Marie – und plötzlich kippt die liebende Fürsorge Renates in Hass und subtil tobenden Zorn. Je tiefer der Graben zwischen den Frauen wird, umso gefährlicher verzerrt sich Renates Blick auf die Welt. Sie heftet sich dem Paar an die Fersen, verfolgt ihre Schwester, überwacht sie zuerst aus der Distanz, rückt dann aber unaufhaltsam näher – bis zur letzten Konsequenz. In kunstvoller Sprache und mit ungeschminktem Blick nimmt Mischkulnig die Perspektive Renates ein, eine Perspektive, in der sich Wirklichkeit und Paranoia überlagern.
»Diese Texte pulsieren, sie sind von bewunderswerter erzählerischer Kraft, und sie beunruhigen.« Leopold Federmair im ›Falter‹, Wien Ein Kameramann kann nicht aufhören zu filmen, nicht einmal im Kreißsaal seiner Frau. Eine Architektin läßt ihre asiatische Freundin verschicken, bevor diese ihren Mann verführt. Eine Tochter wartet auf den Zeitpunkt, Rache zu üben: Der Vater hat die Unschuld des Kindes ausgebeutet, um sich einen Namen zu machen. Ein Arzt will die Frau seines Herzens an sich binden, indem er ihre Antibabypille gegen Hormontabletten austauscht. Nur: Wer geht am Ende wem in die Falle? Zeugen und Gebären, Bindungen, die zu Fesseln werden, das ewige ödipale Dreieck und seine zahllosen Deformationen. Harmlose Beziehungsgeflechte entwickeln sich zu teuflischen Verkettungen, Bewunderung verkehrt sich in Voyeurismus, Freundschaft wird zu Menschenhandel und Hingabe zu Macht: Wer unterwirft? Wer gibt sich hin? Sieben abgründig-schrille Einblicke in Künstlerseelen, Kreißsäle und Kleinfamilien.
UNBESTECHLICHE BEOBACHTERIN UND SPRACHMÄCHTIGE AUTORIN Ein Besuch bei der Kosmetikerin, der zum mythischen Ereignis wird; eine Heuschrecke, die erstaunlich der Kreatur Mensch ähnelt; ein Ausflug ins Wiener Umland, der einen unheilvollen Verlauf nimmt; ein Kuss auf dem mondänen Kärntner Landgut, der empört; und eine Handschrift, die dem größten Liebhaber aller Zeiten gehört - in ihren Erzählungen fächert Lydia Mischkulnig alle Facetten des Mensch-Seins auf. Unbestechlich in ihren Beobachtungen lotet sie die Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau aus, die Grenzen zwischen Vertrautem und Fremdem, das Gefälle zwischen Stadt und Land. ERZÄHLUNGEN, DIE UNTER DIE HAUT GEHEN Längst gilt Lydia Mischkulnig als eine der spannendsten und unkonventionellsten Stimmen in der österreichischen Literatur. Mit ihren neuen Erzählungen geht sie unter die Haut - sie ist witzig und abseitig, tiefschürfend und klug, feinnervig und aufrüttelnd, und immer: sprachgewaltig. Zum Teil autobiographisch gefärbt, führen uns ihre Texte von Kärnten über Wien und Venedig bis ins japanische Nagoya, wo die Autorin einige Zeit lebte: Geschichten, die sich tief eingraben und einen nicht mehr loslassen. „Lydia Mischkulnig erzählt vom Einbruch und Ausbruch des Triebhaften, des Lustvollen und des Bösen, das die glatte und dünne Oberfläche der zivilisatorischen Moral stört und sie zum Einbruch bringt. Sie tut dies in kurzen lakonischen Sätzen, genau beobachtend und beschreibend, mit merkwürdigen, manchmal schrägen Bildern, schnell und temporeich." Karin Fleischanderl, Laudatio zum Johann-Beer-Literaturpreis
Nach einem Autounfall verliert ein Bestattungsunternehmer sein linkes Bein und unternimmt während der Rekonvaleszenz eine letzte Leichenüberführung von Wien nach Kärnten. Diese Reise wird zu einer schonungslosen Auseinandersetzung mit Erinnerungen und der Morbidität des Todes.
Umarmung
- 269 Seiten
- 10 Lesestunden
Es ist Abend. Draußen wütet ein Schneesturm. Eine Frau ist allein zu Haus, nimmt sich ein Buch zur Hand, liest und denkt. Da läutet es. Eigentlich erwartet sie niemanden mehr. Aber aus Neugier steht sie auf, geht und öffnet die Tür. Ihre Freundin prescht in die Wohnung. Sie sagt, sie sei in eine arge Geschichte geraten, aus der sie allein nicht entkommen könne. Sie stecke fest. Sie habe in eine Figur schlüpfen wollen und sei nun gefangen im Körper ihrer Romanfigur. Eine immer irrer werdende Geschichte entspinnt sich, in der die Konturen des Selbst verwischen. Wie Ingeborg Bachmann oder Elfriede Jelinek lotet Lydia Mischkulnig in ihrem neuen Roman die Grenzen weiblicher Identität aus.
Die Gemochten
Erzählungen
»Geheimnis und Gewissen« Sie sind Liebende oder Fremde – Gemochte, in jedem Fall, die Figuren von Lydia Mischkulnig: Mutter und Tochter, Ehepaar, Geliebte, Unbekannte. Sie begegnen sich in neu bezogenen Wohnungen, in Restaurants, im Sesselkreis und in Stundenhotels, vollführen einen Beziehungstanz zwischen Annäherung und Entfremdung, zwischen dem Offensichtlichen und dem Unausgesprochenen im politisch geprägten Alltag. Alle eint eine tiefe Sehnsucht nach Beständigkeit in unbeständigen Zeiten, sie leben in Angst und Sorge, fremdeln mit der modernen Gesellschaft. Ihre Versprechen lösen sich auf, sobald sich schwelende Geheimnisse und Manipulationen offenbaren. Lydia Mischkulnig ist eine Meisterin der kurzen Form und kuriosen Begebenheiten. Lustvoll dringt sie in ihren Erzählungen durch die Decke der Angepasstheit und offenbart die Abgründe ihrer Figuren mit leichtfüßiger Sprachkunst. So schafft sie ein originelles Panoptikum der »Gemochten«, die in ihren verschrobenen Leidenschaften zutiefst liebenswürdig sind.