Non-finito. Un-fertig
Fluchtlinien des Kreativen in Kunst und Literatur






Fluchtlinien des Kreativen in Kunst und Literatur
zahlr. Abb., mit einliegender CD Das imperiale und koloniale Europa ist Geschichte. Von der 'Dritten Welt' und von 'Entwicklungsländern' spricht man mit Blick auf die geopolitischen Veränderungen auf der Weltkarte schon lange nicht mehr, wenngleich das europäische Potential an Wirtschaftsbeziehungen, staatlicher Ordnung, ziviler Gesellschaft und Menschenrechten weiter wirkt in den 'nichtwestlichen' Ländern wie diese sich jetzt selber nennen. In Zeiten der manifesten Krise des Selbstverständnisses und des Machtverlusts kann der Blick von außen, die Selbstdarstellung anderer Länder und Kulturen im Verhältnis zu Europa besonders aufschlussreich sein. In den MOSSE-LECTURES wurde mit den Sprechern aus China, Indien, Südafrika und den USA, 'Europa' überzeugend als eigene Sache verhandelt, kreativ wie auch polemisch; hinzu kommen im vorliegenden Band Studien von deutschen globalhistorisch orientierten Fachhistorikern und Literaturwissenschaftlern.
Wie lassen sich die Werte einer demokratischen und säkularen Staatsbürgerschaft unter den Bedingungen von Globalisierung, Migration und kultureller Differenz behaupten? In aktuellen Debatten bleiben oft die Verunsicherungen und Ängste verborgen, die die national verbürgte Staatsbürgerschaft gegen die soziale Dynamik weltweiter Migration und die Herausforderungen kultureller und ethnischer Minderheiten verteidigen. Es entsteht eine Grauzone zwischen verfassungsrechtlich gesicherter Staatsbürgerschaft und den überstaatlichen ethnischen, religiösen, sozialen und politischen Vergesellschaftungen. Wie sollte staatsbürgerliche Zugehörigkeit definiert werden, um die Balance zwischen den rechtsstaatlichen Verbindlichkeiten von Gleichheit, Glaubensfreiheit und politischer Partizipation einerseits und den vielfältigen kulturellen Ansprüchen andererseits zu wahren? Welche Form sollte eine europäische oder gar 'Weltbürgerschaft' annehmen? In den Mosse-Lectures diskutieren Politiker, Historiker, Juristinnen und Politologen sowie eine Philosophin und Kunstwissenschaftlerin die rechtlichen, sozialen, kulturellen und politischen Grenzwerte der Staatsbürgerschaft. Ergänzt werden die Diskussionen durch vierzehn künstlerische Kartographien der Civitas des argentinischen Künstlers Guillermo Kuitca.
Mosse-Lectures an der Humboldt-Universität zu Berlin
Walter Benjamin bemerkte 1934, dass man beim Lesen von Kafkas Erzählungen erkennt, wie weit man vom Kontinent des Menschen entfernt ist. In Kafkas Werken verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Tier sowie zwischen Natur und Kultur. Individuelles und soziales Menschsein sowie der Übergang vom Organischen ins Technische werden zu Grenzfällen. Kafkas Geschichten über Tiere und Maschinen, über Rechtsordnungen und Verwaltungen erscheinen oft menschenfern. Sein Schreiben ist von dem durchdrungen, was es beschreibt – visuell und akustisch, beeinflusst von Film, Telefon und Schreibmaschinen. Die Frage bleibt, wie der Prager Jurist und Unfallversicherungsangestellte aus jüdischer Familie zur Schaltstelle des ›Kafkaesken‹ wurde, einem Symbol der modernen Welt. Seine Literatur ist kein schönes Territorium, sondern ein Raum, in dem Sinngebung und Kommunikation oft fehlen, was ihre Faszination ausmacht. Die Prosa ist so konkret, dass Bedeutungen abgleiten und die Aufmerksamkeit sowohl des Autors als auch der Leser sofort ergreifen. Die Berliner Kafka-Vorlesungen von 2005 fassen bewährte Forschungen zusammen und präsentieren neue Perspektiven. Der Band enthält Graphiken des Künstlers Ergin Inan, die Themen wie Menschen, Leben und Realität aufgreifen und einen eigenen Kommentar zu Kafka bieten.
Jost Hermand, geboren 1930 in Kassel, promovierte 1955 an der Universität Marburg und ist emeritierter Professor für deutsche Kulturgeschichte an der University of Wisconsin-Madison sowie Honorarprofessor an der HU Berlin. Zu seinen bedeutenden Veröffentlichungen zählen Werke wie «Epochen deutscher Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus» (1959–75), «Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft» (1965), und «Die Kultur der Weimarer Republik» (1979, mit Frank Trommler). Weitere wichtige Titel sind «Sieben Arten an Deutschland zu leiden» (1979), «Der alte Traum vom neuen Reich» (1988), und «Als Pimpf in Polen» (1993). Harald Jähner, Jahrgang 1953, war bis 2015 Feuilletonchef der «Berliner Zeitung» und ist Honorarprofessor für Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Sein Buch «Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945–1955» (2019) wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und war monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. Es wurde international veröffentlicht und für den Baillie-Gifford-Preis nominiert. «The Times» lobte es als «bewegende, faszinierende Lektüre», in der Jähner meisterhaft die Geschichten der Zeitzeugen erzählt.