Hans Kopp Bücher






So vielfältig die spätere Rezeption antiker Seeherrschaft auch war, ist sie bislang doch nicht Gegenstand einer umfassenden Untersuchung geworden. Es zeichnet die griechisch-römische Antike aus, dass sie nicht nur reale Anläufe zur Erringung von Seeherrschaft kannte, sondern auch ein Reservoir an Bildern, Narrativen und Semantiken maritimer Macht entwickelte, das in späteren Zeiten genutzt werden konnte, um Auseinandersetzungen mit zeitgenössischer Seeherrschaft zu entwickeln. Insbesondere am Beginn der Neuzeit, als die Wiederentdeckung antiken Wissens mit einer Maritimisierung von Politik und Lebenswelt zusammenfiel, kam es zu einer intensiven Rezeption der Ausdrucksformen antiker Seeherrschaft. Doch auch später war diese immer wieder das Objekt von Um- und Neuinterpretationen, die helfen sollten, die jeweils eigene Gegenwart und teils auch die Zukunft zu deuten. Anhand ausgewählter Beispiele von bereits antiken Verarbeitungen bis zum modernen Science-Fiction-Roman wird in diesem Band ersichtlich, wie sich Konzepte und Bilder von Seeherrschaft immer wieder neu im Dialog mit der Antike entwickelten und wie Vorstellungen antiker Seeherrschaft so nicht nur rezipiert, sondern auch transformiert wurden.
Das Meer als Versprechen
Bedeutung und Funktion von Seeherrschaft bei Thukydides
Thukydides’ Geschichte des Peloponnesischen Krieges (ca. 400 v. Chr.) gilt als Klassiker der antiken Auseinandersetzung mit der ›Seeherrschaft‹ und wird als bleibendes Zeugnis maritimer Macht angesehen. Die Untersuchung analysiert den Text, um die tiefere Funktion des Motivs der ›Beherrschung des Meeres‹ in Thukydides’ historiographischem Bericht zu erforschen. Eine detaillierte Lektüre, die sowohl die literarische Gestaltung als auch die zeitgenössischen Bedingungen berücksichtigt, zeigt, dass Thukydides nicht einer Seeherrschaftsideologie das Wort redet. Stattdessen demonstriert er die Möglichkeiten und Grenzen dieser Macht und legt die Unzulänglichkeit einer Entscheidungsfindung offen, die vom Versprechen grenzenloser Macht zur See geleitet wurde. Der Vergleich mit anderen Texten, die die Frage der ›Beherrschbarkeit‹ des Meeres behandeln, ordnet Thukydides’ Darstellung in den Kontext zeitgenössischer Reflexion ein und verdeutlicht, wie er den Seeherrschaftsdiskurs des 5. Jahrhunderts v. Chr. aufgriff und in seine historische Analyse integrierte.