Einst als »Asyl für evangelische Blöde aus Westfalen« gegründet, hat sich die Diakonische Stiftung Wittekindshof im Lauf ihrer 125-jährigen Geschichte zu einem bundesweit bekannten diakonischen Unternehmen im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung entwickelt. Dabei musste sich der Wittekindshof in einem sich beständig verändernden politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, medizinischen und kulturellen Umfeld behaupten, manches Mal sogar um seine Existenz kämpfen. Wissenschaftlich fundiert, kenntnisreich und anschaulich geschrieben, schildert das Buch das Entstehen einer großen, in sich geschlossenen Anstaltsortschaft und bietet damit einmalige Innenansichten einer »Welt in der Welt«, die sich mehr und mehr zugunsten von gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung weiter entwickelt.
Lange Zeit war es nur ein Gerücht: Martin Stephani (1915–1983), Direktor der Nordwestdeutschen Musikakademie bzw. Hochschule für Musik Detmold von 1959 bis 1982, hatte im Zweiten Weltkrieg einen höheren Posten im Musikwesen der Waffen-SS inne. Tatsächlich war Stephani seit 1941 zunächst bei der Leibstandarte SS Adolf Hitler und anschließend im SS-Führungshauptamt eingesetzt. Auf der Basis umfangreicher Quellenrecherchen schafft der vorliegende Band eine Grundlage für die Einschätzung von Stephanis Tätigkeiten in der Zeit des ›Dritten Reiches‹. Wie sah seine Arbeit als Dirigent des Sinfonieorchesters der Waffen-SS, bei der Ausbildung von Musikmeister-Anwärtern oder als Sachbearbeiter im Musikreferat des SS-Führungshauptamts aus? Wie ist seine spätere Darstellung, er habe seine Position zu ›teilnehmendem Widerstand‹ genutzt, im Lichte der Quellen zu bewerten? Und wie konnte es passieren, dass Stephanis Vergangenheit nach dem Abschluss des Entnazifizierungsverfahrens in Vergessenheit geriet?
Die Anfänge der heutigen Diakonischen Stiftung Ummeln reichen zurück bis in das Jahr 1866, als in Lippspringe und Enger Asyle für strafentlassene Frauen und Männer gegründet wurden. Anfang des 20. Jahrhunderts verschob sich das Arbeitsfeld hin zur Fürsorgeerziehung für schulentlassene Mädchen und junge Frauen. Im Zuge der »Krise der Heimerziehung« in den 1970er Jahren veränderte sich das Profil der Diakonischen Stiftung Ummeln abermals. Heute steht die Arbeit für Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung im Mittelpunkt. Dieser spannenden Entwicklung geht die lebendig geschriebene Studie kenntnisreich nach.
Das Frauenheim vor Hildesheim war bei seiner Gründung im Jahre 1884 einzigartig, aber vorbildlich für eine Reihe von Neugründungen in ganz Deutschland. Kenntnisreich und anschaulich geschrieben, gibt die Studie einen Einblick in die Entstehung des ursprünglichen Asyls für 'Korrigendinnen', beleuchtet die verschiedenen Arbeitsfelder der Einrichtung und beschreibt ihre Entwicklung zum überregionalen Anbieter von Dienstleistungen für Menschen mit Assistenzbedarf im historischen, politischen und kulturellen Kontext. Zugleich wird erstmals auf den großen Anteil des Frauenheims bei der Integration jugendlicher Flüchtlinge aus der SBZ und der DDR eingegangen und der deutsch-deutschen Geschichte ein weiteres spannendes Kapitel hinzugefügt.
Heime für Menschen mit geistiger Behinderung in der Perspektive der Disability History
250 Seiten
9 Lesestunden
Menschen mit Behinderungen werden zunehmend zu einem Thema der Geschichtswissenschaft. Impulse gehen dabei von den Disability Studies aus, die einen neuen Zugang zum Phänomen der Behinderung suchen, indem sie Behinderung als „soziokulturelle Konstruktion“ auffassen. Dieser vielversprechende Ansatz ist in Studien zu geschlossenen Einrichtungen bisher kaum aufgegriffen worden. Dabei sind solche Heime soziale Räume, in denen sich die Zuschreibungs-, Deutungs- und Benennungsprozesse bei der soziokulturellen Konstruktion von Behinderung extrem verdichten. Der Band versammelt Beiträge zur Theorie und Methodik der Disability History, zur Geschichte einzelner Heime und zu professionellen Diskursen in Heil- und Sonderpädagogik und Theologie.
Der Bielefelder Historiker Dr. Hans-Walter Schmuhl legt mit diesem Buch die erste umfassende Geschichte des Rauhen Hauses zu Hamburg vor. Während frühere Studien sich auf den Gründer des Rauhen Hauses, Johann Hinrich Wichern, und seine Zeit konzentrierten, wird hier die Geschichte der Einrichtung in den Mittelpunkt gerückt. In der historisch-kritischen Rückschau stellt sich die Entwicklung vom Rettungshaus zum modernen diakonischen Unternehmen keineswegs immer als geradliniger und planmäßiger Prozess dar, sie ist vielmehr von häufigen Brüchen und Verwerfungen geprägt. Das Rauhe Haus war von seinen ersten Tagen an eine Anstalt im Wandel. Es hat sich nie als bloßes Dienstleistungsunternehmen begriffen, sondern leistete Arbeit am Reich Gottes und will nach wie vor Impulse für ein solidarisches Gemeinwesen geben.
Die Rolle der führenden wissenschaftlichen Institution bei der Erforschung einer nationalsozialistischen Schlüsselkategorie. Lange vor 1933 hatten life sciences wie Psychiatrie, Kriminalbiologie, Hirnforschung, Anthropologie oder Biologie »Rasse« als wissenschaftliches Objekt entdeckt. In Deutschland waren Kaiser-Wilhelm-Institute führend an der Rassenforschung beteiligt. Trotz mancher gemeinsamer Grundelemente gab es kein einheitliches wissenschaftliches Rassenkonzept. In diesem Band wird die Vielzahl konkurrierender Konzepte herausgearbeitet, die sich im Hinblick auf die Einteilung und Abgrenzung von »Rassen« und ihre Annahmen über die Ursachen der Entstehung von »Rassen«, ihre Wandelbarkeit, die Wirkung von »Rassenmischung«, die Vererbungsgänge und das Zusammenspiel von Anlage und Umwelt deutlich voneinander abhoben. Die Kontroversen rissen auch im »Dritten Reich« nicht ab. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten eröffneten sich der Rassenforschung ganz neue Möglichkeiten. Ihre Ergebnisse und Empfehlungen schlugen sich jetzt unmittelbar auf den verschiedensten Politikfeldern nieder. Es formte sich eine wissenschaftlich angeleitete, begleitete und ausgewertete Rassenpolitik heraus. Die Autorinnen und Autoren des Bandes spüren den diffizilen Wechselwirkungen zwischen politischer und wissenschaftlicher Praxis nach und fragen, inwieweit die NS-Erb- und Rassenpolitik der Rassenforschung unter dem Dach der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Ziel und Richtung gab und umgekehrt die Befunde der Rassenforschung in der Erb- und Rassenpolitik ihren Niederschlag fanden. Inhalt: Hans-Walter Schmuhl: Rasse, Rassenforschung, Rassenpolitik. Annäherungen an das Thema Volker Roelcke: Programm und Praxis der psychiatrischen Genetik an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie unter Ernst Rüdin. Zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Rasse-Begriff vor und nach 1933 Richard Wetzell: Kriminalbiologische Forschung an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Michael Hagner: Im Pantheon der Gehirne. Die Elite- und Rassegehirnforschung von Oskar und Cecile Vogt Helga Satzinger: Krankheiten als Rassen. Politische und wissenschaftliche Dimensionen eines internationalen Forschungsprogramms am Kaiser-Wilhelm-Institutfür Hirnforschung (1919-1939) Benoit Massin: Rasse als Vererbung als Beruf. Die Hauptforschungsrichtungen am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik im Nationalsozialismus Paul Weindling: Genetik und Menschenversuche in Deutschland, 1940-1950. Hans Nachtsheim, die Kaninchen von Dahlem und die Kinder vom Bullenhuser Damm Thomas Potthast: »Rassenkreise« und die Bedeutung des »Lebensraums«. Zur Tierrassenforschung in der Evolutionsbiologie Doris Kaufmann:»Rasse und Kultur«. Die amerikanische Kulturanthropologie um Franz Boas (1858-1942) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - ein Gegenentwurf zur Rassenforschung in Deutschland
Die Kinderkuren der DAK zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Von 1951 bis in die 1990er-Jahre hinein führte die DAK etwa 450.000 Kinderkuren durch. Kinder, die »unterernährt«, »blutarm«, »krankheitsanfällig« oder »tuberkulosegefährdet« schienen, wurden zur Erholung in eines der kasseneigenen Heime – »Schuppenhörnle« im Schwarzwald, »Haus Hamburg« in Bad Sassendorf und »Haus Quickborn« in Westerland auf Sylt – geschickt oder in anderen Einrichtungen untergebracht. Gedacht als Maßnahme zur Gesundheitsvorsorge, wurden die Kinderkuren ganz unterschiedlich erlebt. Manche der verschickten Kinder im Alter von vier bis vierzehn Jahren haben sie in guter Erinnerung, andere litten in den Kurheimen unter Einsamkeit, Heimweh, Verlustängsten und einer strengen Behandlung. Der damals gängigen »schwarzen Pädagogik« folgend, kam es in einigen Fällen zu körperlichen Züchtigungen und anderen demütigenden Strafen, manchmal sogar zu sexuellen Übergriffen. Das Buch nimmt erstmals die Kinderkuren eines großen Trägers systematisch in den Blick, untersucht die quantitative Dimension und die organisatorischen Abläufe und rekonstruiert anhand von Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen den Alltag in den Heimen.