Nihilismus der Menschenfreundlichkeit
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Der Titel dieses Buches stammt aus dem Aufsatz „Das Problem der deutsch-französischen Beziehungen“ von 1922. Er charakterisiert Thomas Manns Weltanschauung und seinen Kunstwillen: Ein Schriftsteller der glaubenslosen Moderne, der seit den Anfängen seiner Laufbahn eine Spannung auslebte und sie in seine Texte faßte, die Spannung zwischen dem pessimistischen, homoerotischen, narzißtischen Außenseiter mit Einsicht in das Elend der Welt und dem Hausbesitzer, Gatten und Familienvater, der sich in die deutsche bildungsbürgerliche Gesellschaft gefügt hatte und diese Anpassung durch den menschenfreundlichen Humor seiner Erzählweise ausdrückte. Herbert Lehnert ist nach Forschungen im Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich zu dem Schluß gekommen, daß die pessimistisch-nihilistische Seite dieser Spannung Thomas Mann immer davon zurückhielt, sich Glaubensinhalte und Ideologien zu eigen zu machen. Interpreten seines Werkes sollten von der Glaubenslosigkeit ausgehen und die fiktionale Welt Thomas Manns als ein Spiel mit Widersprüchen und Polaritäten beschreiben. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Jahre 1918-1925. In ihrem Mittelpunkt steht der Essay „Goethe und Tolstoi“. Er spielt eine besondere Rolle in der Wandlung Thomas Manns vom konservativen Verfasser der „Betrachtungen eines Unpolitischen“ zum „Liberalen“, der im Druck des Essays von 1925 „den deutschen Faschismus“ heftig angriff und Sympathien für „unsere(n) Sozialismus“ aussprach. Wie weit und tief greift diese „Wandlung“? Zwischen 1921 und 1925 waren mehrere Teildrucke erschienen, die bisher kaum jemand beachtet hatte. Es ist das Verdienst Eva Wessells, durch Textvergleiche eine Rekonstruktion der „Urhandschrift“ von 1921 unternommen zu haben, die erstmals Schlüsse auf das zuließ, was Thomas Mann 1925 hinzusetzte.