Die Tragödie
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Lange galt die Tragödie als die erhabenste literarische Form; über das Problem des Tragischen haben Literaturwissenschaftler und Philosophen immer wieder intensiv nachgedacht. In der gegenwärtigen Erlebniswelt freilich spielt das Tragische keine Rolle. Auf dem Theater werden die tragischen Helden der großen Tragödien nur noch verfremdet dargeboten. Trotz dieser Fremdheit lohnt es zu fragen: Was macht Tragödien zu Tragödien? Unter ihnen sind ja nicht wenige Meisterwerke der europäischen Literatur. Ausgangspunkt sind zwei einfache Tatsachen. Es gibt eine begrenzte Anzahl von Dramen, die allgemein als Tragödien bezeichnet werden. Und: Diese Dramen sind in bestimmten Epochen in relativ kurzen Zeiträumen geschrieben worden, die unter sich weit auseinander liegen. Von hier aus wird zunächst der Begriff ›Tragödie‹ empirisch eingegrenzt, danach die Wirkungsweise der Tragödie analysiert, schließlich die zentrale Frage gestellt, unter welchen politischen und sozialen Bedingungen ein gesellschaftliches Bedürfnis nach einer solchen Wirkung zu erwarten ist. Die Antwort gibt ein konziser Überblick über die Geschichte der Tragödie seit Aischylos. Er zeigt, daß Tragödien an bestimmten Übergangsstellen der Gesellschaftsentwicklung auftreten und daß sich in der jeweils veränderten Struktur des Tragischen die Bewußtseinsstruktur der betreffenden Gesellschaft ausdrückt. Das wird nicht ideologisch begründet und nicht spekulativ entwickelt, im Gegenteil: »Um den Zusammenhang zwischen den historisch-gesellschaftlichen Bewußtseinszuständen und ihrem literarischen Ausdruck zu erklären, werden wir keine der gängigen Literaturtheorien bemühen, sondern auf etwas vertrauen, das bedauerlicherweise in der Literaturwissenschaft nicht mehr hoch im Kurs steht, auf den gesunden Menschenverstand.«