1945 - 1995: eine Fortsetzungsgeschichte?
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„1945 - 1995: Eine Fortsetzungsgeschichte?“ - unter diesem Titel stand eine Vorlesungsreihe, die im Mai 1995 am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck stattgefunden hat. Der Zeitpunkt der Veranstaltung und die Jahreszahlen verwiesen auf das Ende des Zweiten Weltkriegs und damit zugleich auf den Untergang der nationalsozialistischen Herrschaft. Die Frage nach der Fortsetzungsgeschichte hat die beiden Jahreszahlen in einen Rahmen gesetzt, der nicht den Abstand von einem halben Jahrhundert hervorhebt, sondern hat sie darauf hinorientiert, wie gegenwärtig all das ist, was die Jahre vor 1945 in unserer Gesellschaft bestimmt hat. Die 50 Jahre als Entfernung aufzufassen, käme hingegen der Neigung zu vergessen entgegen, was erschütternd, schuldhaft und beschämend wäre. Die gleiche Tendenz, den zeitlichen Abstand zu betonen, zeigt sich auch in dem Anspruch, daß es möglich sein müßte, unverfänglich vom Dritten Reich zu reden, etwa von seiner „ordentlichen Beschäftigungspolitik“, verbunden vielleicht mit dem Hinweis, daß es in der Gegenwart Wichtigeres gäbe als die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen gegenwärtigen Wirkungen. Die geschichtliche Distanzierung manifestiert sich dann auch in der Erzeugung „passender“ Erzählungen, sei es auf individueller oder kollektiver Ebene. Wie rasch etwas als „unpassend“ gewertet werden kann, zeigt sich beispielsweise gegenwärtig an der heftigen Abwehr mancherorts, sich mit der Beteiligung der deutschen Armee an der Judenvernichtung während des Zweiten Weltkriegs auseinanderzusetzen. „Eine Fortsetzungsgeschichte?“ läßt auch an den Zusatz „Fortsetzung folgt“ denken, der am Ende der jeweiligen Folge einer Fortsetzungsgeschichte auf die nächste verweist. Sind wir also in einer Lebenswelt, in der die gleichen Mentalitäten anzutreffen sind, die den Nationalsozialismus ermöglicht haben und von ihm vorangetrieben worden sind, muß also die mentalitätsgeschichtliche Erzählung mit diesem Fortsetzungsvermerk versehen werden, oder kann die Frage so beantwortet werden, daß ein Wandel zu merken ist, der von den nationalsozialistischen Spuren wegführt?