Vergangenheitsbewältigung
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Der Sammelband, der auf das achte Symposium der Fachgruppe Politikwissenschaft der Gesellschaft für Deutschlandforschung zurückgeht, wird von zwei Beiträgen der Herausgeber eingerahmt. Der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse (Technische Universität Chemnitz-Zwickau) stellt das Problem der doppelten Vergangenheitsbewältigung in Deutschland in aller Breite vor. Dem Verfasser geht es insbesondere darum, mit Blick auf Deutschland verschiedene Dimensionen der Vergangenheitsbewältigung zu erfassen. Der Politikwissenschaftler Konrad Löw (Universität Bayreuth) befaßt sich mit zwei Elberfeldern, die jeweils die »zweite Geige« spielten - Friedrich Engels und Joseph Goebbels. Es ist die Kernthese des Autors, daß weitgehend parallelem Denken keineswegs paralleles Gedenken entspricht. Der eine (Goebbels) wird zu Recht verdammt, der andere (Engels) - zu Unrecht - positiv gewürdigt. Die Historiker Arnulf Baring (Freie Universität Berlin) und Rainer Eckert (Humboldt Universität Berlin) widmen sich zwei Detailkomplexen der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Baring spricht von der »Last zweier verpfuschter Vergangenheiten«, sieht aber in der Fixierung auf diese eine Gefahr für die Zukunft. Damit die Deutschen zu einem gelassenerem Verhältnis zu sich selbst finden, sei die Aneignung der deutschen Vergangenheiten unerläßlich. Eckert sieht die Beseitigung von Symbolen der SED für den Umsturz als notwendig an. Allerdings ließ sich der Erfolg nicht überall durchsetzen, so daß die demokratisch gewählten Organe sich später damit befassen mußten (z. B. Umbenennung von Straßen). Der Osteuropa-Redakteur der Deutschen Welle Andrej Gurkow erörtert die Vergangenheitsbewältigung in Rußland, der an der »Arizona State University« lehrende Historiker Gerald R. Kleinfeld (USA) die in den USA. Die »reformkommunistische Phase der Vergangenheitsbewältigung« schlug in Rußland in eine »antikommunistische Phase der Vergangenheitsbewältigung« um: Bald stand nicht mehr nur Stalin unter Beschuß, sondern auch Lenin. Es sei heute wichtiger, die Voraussetzungen für den Leninismus zu unterbinden, als Lenin-Denkmäler zu schleifen. Kleinfeld analysiert den Streit um die Flagge der Konföderierten, den Vietnam-Krieg, die Rolle der USA gegenüber dem Holocaust, den Niedergang der amerikanischen Indianer und die Doktrin »politischer Korrektheit«. Ungeachtet kritischer Blicke auf die eigene Vergangenheit seien die Amerikaner auf ihr Land stolz. Zum Konsens gehöre, daß die Vergangenheit nicht die Gegenwart beherrschen müsse, und ebenso dürfe es keine Verdrängung geben. Für den Leiter der Gedenkstätte, den Berliner Politikwissenschaftler Peter Steinbach, besteht der Sinn der Gedenkstätte Deutscher Widerstand darin, die Gesamtgeschichte des Widerstandes zu erhellen, auch unter Berücksichtigung der Kommunisten. Die Gegenerschaft zum Nationalsozialismus dürfe nicht von einer Richtung vereinnahmt werden und niemanden nachträglich ausschließen. Hingegen kritisiert Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, der Sohn des Widerständlers Graf von Stauffenberg, die Einbeziehung von Kommunisten. Eine Ausstellung solle ehren, und es könne nicht angängig sein, diejenigen zu würdigen, die später ein anderes totalitäres System auf deutschem Boden errichtet haben.