Martin Noe͏̈l, Venedig
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Auf einem seiner Streifzüge durch die Stadt entdeckt Noël in der Auslage eines Schaufensters Pigmente. Keine chemisch hergestellten Farben, sondern aus Siena-Erde, aus Malachit, aus Verde Vagone geriebene farbintensive Pigmente, die ihn fesseln. Er kauft ein und gibt sein Vorhaben auf, während seines Aufenthaltes in Venedig nichts zu produzieren, sondern nur zu sehen. Die haptische wie visuelle Faszination, die von den Pigmenten ausgeht, veranlaßt ihn, diese Arbeiten noch direkt vor Ort zu produzieren. Er kauft Postkarten mit typischen Motiven wie der Rialto-Brücke, dem Markusplatz Materiell gesehen, ist es der verstärkte Karton der Postkarte, in dem Noël den idealen Träger für seine Pigment-Arbeiten findet. Das Format, 14,8 x 10,5 cm, läßt eine fast maßstabgetreue Übertragung von Augenpaaren zu. Das Postkartenmotiv übermalt Noël mit einem schwarzen Ölstift. Es ist ein Akt des abdeckenden Ablenkens vom touristischen Blick auf Venedig. Auf diesen fettigen Grund streut Noël nun in mehreren Arbeitsschritten immer wieder ein Pigment, bis der Untergrund gesättigt ist. Jedes Pigment verhält sich anders. Die Erden – Terra di Pozzuoli, Terra di Siena naturale, Terra d'ombra naturale – besitzen eine andere Korngröße wie z. B. das Rosso Malaga oder das Lacca Viola. Der Maler wird hier zum Chemiker, und nicht jede Substanz ist in ihrer Reaktion für ihn vorhersehbar. Das Occra Giallo entwickelt auf dem schwarzen Grund eine völlig andere Farbintensität als z. B. das Giallo Zinco. Unebenheiten und diverse Schattierungen halten unseren Blick in Bewegung. Als letzten Arbeitsschritt nimmt Noël mit Hilfe eines Stiftes wieder Farbe weg. Es entsteht eine Zeichnung in Schwarz, manchmal auch in Weiß, entsprechend dem zuvor gewählten Bildgrund. Das jeweilige Augenpaar sitzt demnach nicht auf dem Pigment, sondern wird herausgearbeitet. Die Namen der Pigmente bezeichnen nicht nur die Farbzuordnung wie Gelb oder Blau, sondern verweisen auch auf den Fundort: Verde Paolo Veronese, Terra d'Ombra Verdostra oder Nero Roma. Diese Klangbilder verbindet Martin Noël mit den Namen von Vaporetto-Stationen in Venedig: Giudecca, Ca'd'Oro, S. Angelo. Doch nicht auf das Vaporetto, das touristische Fortbewegungsmittel, beziehen sich die Titel, sondern auf die Haltestellen, die Orte des Wartens, des Innehaltens auch des Blicks. Hannelore Paflik-Huber