Die Schussenrieder Siedlung Taubried I, (Bad Buchau, Kr. Biberach)
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Was im Herbst 1919 verheißungsvoll begonnen hatte und der Siedlungsarchäologie in Deutschland zahlreiche neue Impulse verlieh, ging 1937 im Zeichen einer von den Nationalsozialisten propagandistisch mißbrauchten Fachtagung zu Ende: die Ausgrabung vollständiger jungsteinzeitlicher Siedlungen im südlichen Federseemoor. Unter der Leitung von H. Reinerth wurde die Schussenrieder Dorfanlage Taubried I in jenem Jahr nahezu komplett untersucht. Diese Ausgrabungen sind das letzte Kapitel einer spannungsreichen Forschungsgeschichte, durch die sich wie ein roter Faden die Auseinandersetzung zwischen dem Urgeschichtlichen Institut der Universität Tübingen (UFI) und dem Staatlichen Denkmalamt in Stuttgart zieht. Vom UFI wurden in den zwanziger Jahren drei junsteinzeitliche Dorfanlagen (Aichbühl, Riedschachen I und II) fast restlos freigelegt. Bis heute muß sich die Forschung auf publizierte Siedlungspläne stützen, die mehr am Schreibtisch nach vorgefaßten Meinungen der Ausgräber als nach Beobachtungen im Gelände gefertigt wurden, wie eine kritische Auswertung alter Unterlagen ergab. Je großflächiger die Ausgräber vorgingen, desto oberflächlicher wurden die Aufzeichnungen. Von den Befunden der Siedlung Taubried I existiert jedoch eine so detaillierte Dokumentation, daß nicht nur Fehlinterpretationen korrigiert, sondern auch die Geschichte einzelner Hausplätze verfolgt und das Wachstum des Dorfes beschrieben werden können. Viele Details wie Feuerstellen und Reparaturmaßnahmen lassen sich an den Häusern dieser Zeit (4300 - 3800 v. Chr.) auch auf mineralischen Standorten beobachten. Die Entwicklung leichter und kleiner zweiräumiger Rechteckhäuser, die sich von den tiefgegründeten Pfostenbauten des Alt- und Mittelneolithikums grundlegend unterscheiden, dürfte die Erschließung der Feuchtgebiete überhaupt erst ermöglicht haben. Weil sich die Kulturentwicklung im süddeutschen Raum und in den angrenzenden Gebieten nur ungenügend parallelisieren läßt, ist jedoch unklar, ob die Anstöße dazu tatsächlich von Kulturgruppen in Niederösterreich, der Slowakei oder dem Karpatenbecken ausgingen. Eine große Mobilität bei kurzer Verweildauer an einem Ort scheint in allen Gebieten gleichermaßen besonders typisch für die jungneolithischen Gemeinschaften um 4000 v. Chr. gewesen zu sein. Die Feuchtgebiete Oberschwabens wurden nach Ausweis von Dendrodaten immer nur schubweise für kurze Zeitspannen von maximal 100 Jahren aufgesucht. Dazwischen liegen lange Siedlungsunterbrechungen. Durch den Vergleich mit absolut datierten Stationen am Bodensee läßt sich die Siedlung Taubried I in die erste Hälfte des 39. Jhs. v. Chr. datieren. Bislang ist die 'oberschwäbische Gruppe' der Schussenrieder Kultur vor allem aus den Moorgebieten bekannt und wohl überwiegend jünger als die 'Neckargruppe' im Raum Stuttgart, die im Laufe des 40. Jhs. v. Chr. verschwand und der Michelsberger Kultur Platz machte. Ob dieser Vorgang auf eine 'Expansion' der Michelsberger Kultur oder die Intensivierung bestehender Kontakte zurückzuführen ist, bleibt immer noch rätselhaft. Das nichtkeramische Sachgut aus den Moorsiedlungen zeigt jedenfalls, daß die Schussenrieder Kultur in Oberschwaben in ein weiträumiges Beziehungsgefüge eingebunden war, das sich vom Maasgebiet bis in die Vogesen erstreckt und damit die keramisch definierten Kulturgrenzen des frühen Jungneolithikums sprengt.