Texte auf Textilien in Ostafrika
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Dieses Buch dokumentiert einen Aspekt weiblicher Kultur der islamischen, swahilisprachigen Küste Ostafrikas, wie sie sich im Gebrauch des Wickelstoffes „leso“ unter kommunikationswissenschaftlicher Perspektive darstellt: Als Möglichkeit von Anpassung und Eigenständigkeit zugleich. Seit seiner Entstehung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Sansibar hat sich das „leso“ (auch kanga) entlang der Küste und ins afrikanische Inland verbreitet. Heute ist es alltäglicher Bestandteil weiblicher Kleidung. Das Besondere an den Stoffen sind aufgedruckte Texte, kurze, sprichwortähnliche Inschriften, mit Hilfe derer die Akteurinnen sich in einer Art Meidekommunikation zu Themen äußern können, die Sprechverboten unterliegen: Liebe und Sexualität, Streit, Eifersucht und Neid, aber auch Ermahnungen und Ratschläge an eine Adressatin oder einen Adressaten. Die kommunikative Verwendung der Tücher steht damit im Spannungsfeld zwischen , verbotenen‘ Themen und gesellschaftlich konformem Verhalten. Ziel der Kommunikation ist es einerseits, seinen Anliegen Ausdruck zu verleihen, aber gleichzeitig dafür nicht belangt werden zu können. Das Resultat ist eine Kommunikationsform, die von Doppeldeutigkeit (Mehrdeutigkeit) geprägt ist. Das Material, das dieser Arbeit zugrunde liegt, wurde von der Autorin in mehreren Feldaufenthalten Mitte der 90er Jahre erhoben und beruht auf langjähriger Kenntnis der Swahili-Gesellschaft. Ausgehend vom Begriff der Sprichwortpraxis und der , Ethnographie des Sprechens‘ wird die Verwendung des „leso“ als kommunikative Praxis aufgefasst und an ausgewählten Fallbeispielen verdeutlicht. Sie wird in verschiedene wissenschaftliche Kontexte eingebettet (Parömiologie, Kommunikationswissenschaft, Ambiguitätsforschung, Pragmatik, Textanalyse) und einer gründlichen Analyse unterzogen. Das Sprichwort und seine Praxis werden als Bündel von Merkmalen aufgefasst, die in der kommunikativen Gattung „leso“ als Ambiguisierungsstrategie genutzt werden. Die Elemente der Ambiguisierung (adressierende Person, Adressatin, Inhalte, situativer Kontext, die Konstituierung des Mediums „leso“), die soziale Motivation des Gebrauchs des Tuches (Verhältnis der Interagierenden, verhandelte Themen) und die Verortung dieser Kommunikationsform in kulturell geformten Kommunikationsidealen werden unter einem integrierten Modell von Kommunikationswissenschaft und Parömiologie betrachtet. Abschließend wird erläutert, wie die Kommunikation mithilfe des „leso“ gesellschaftlich bewertet wird: Als eine Kommunikation von unten, die aus Sicht dominanter Kommunikationsideale nahe an ehrverletzendes und verleumderisches Handeln herankommt. Andererseits ermöglicht das „leso“ aber den Frauen auch, ihren Anliegen Ausdruck zu verleihen, ohne offen gegen solche Ideale verstoßen zu müssen.