Eine empfindsame Reise mit dem Aeroplan
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Wovon die Rede sein soll (bei diesen Ausflügen in die europäische Kultur), ist das individuelle Reisen. Man hat ja die Wahl, einen Omnibus oder ein kleines Fahrzeug, eine Linienmaschine oder ein kleines Flugzeug zu wählen, immer ist es nur das Individuelle, was uns das Reisen zu einem wertvollen Erlebnis macht. Allein dies erlaubt Gedankenflüge, nicht nur in die Dimensionen der Zeit, sondern auch in das unermeßlich große Reich der Phantasie, der Träume, des Begegnens mit den Menschen anderer Länder und deren Kultur. Da die Menschen, wenn sie so zahlreich sind, geführt und geleitet werden müssen, können sie nicht entdecken, erleben nicht den Reiz unmittelbarer Begegnung mit fremden Menschen, können nicht auf den Spuren Petrarcas den Hausberg der Provence erklimmen oder aus dem Flugzeug heraus einen dunkelrot glühenden Sonnenuntergang erleben, während die Erde schon in der Finsternis liegt. Man kann auch nicht die Gedanken nachempfinden, die dem Reiselustigen im Aeroplan zufliegen, wozu ihn die Cevennen anregen, in die ihn seine Freunde begleiten, oder das herrliche alte Carcassonne, die Berge der Corbières mit ihren katharischen Fluchtburgen. Für den Massenreisenden wäre es auch nicht möglich, sich angesichts von La Haye in den Philosophen René Descartes so tief hineinzuversetzen, daß er ihm zu begegnen glaubt; nicht denkbar, sich nicht an die Schule von Chartres erinnert zu fühlen, wenn er mit seinem Aeroplan an den Türmen der herrlichen Kathedrale vorüber auf den kleinen Flugplatz zur Landung einschwebt. Nur so ist es vorstellbar, daß der besinnlich Reisende, wenn er den von tausend Jahren Geschichte und Krieg bitter getränkten Grenzraum bei Verdun überfliegt, an die deutsch-französische Geschichte erinnert wird, die immer wieder problematisch, kriegerisch, ja zänkisch gewesen ist. Könnte er das überhaupt wahrnehmen, wenn er mit mehreren hundert Menschen zehntausend Meter hoch in einem der heutigen Riesenflugzeuge und mit hoher Geschwindigkeit über die gleiche Strecke transportiert würde? Mitunter fliegen die Gedanken schneller als das kleine Flugzeug: bis hinein in die Eiszeit. Damals haben Menschen, deren hohe Kultur wir längst nicht vollständig begriffen haben, Kunstwerke geschaffen, die wir, besonders häufig im Südwesten Frankreichs, noch heute voller Staunen und in tiefer Bewunderung betrachten.