Die Entschädigungsunwürdigkeit in der deutschen Kriegsopferversorgung
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Mehr als fünfzig Jahre nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur ist der politische, historische und juristische Diskurs über den Nationalsozialismus und die Aufarbeitung des Unrechts durchaus noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzgeber ist bis heute mit dem Ausgleich der Unrechtsfolgen für die Opfer der Nazizeit befasst. In diesem Zusammenhang tritt unweigerlich die Frage auf, die der Wiedergutmachung und Entschädigung der Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft von Anfang an immanent war: Sollen diejenigen, die z. B. selbst als Soldaten der Deutschen Wehrmacht einen Gesundheitsschaden erlitten haben und damit Kriegsopfer geworden sind, aber selbst die Menschenwürde mit Füßen getreten und gegen elementare Rechtsgrundsätze verstoßen haben, entschädigungsberechtigt sein? Und wie verhält es sich, wenn die Unwürdigkeit insbesondere unter Vertrauensschutzgesichtspunkten erst nach jahrzehntelangem Leistungsbezug festgestellt wird? Am 1. Oktober 1950 trat das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) in Kraft. Eine Unwürdigkeitsklausel, die einen Leistungsausschluss bei Beteiligung von Wehrmachtssoldaten etwa an Kriegsverbrechen oder Völkermord enthielt dieses Gesetz nicht. Am 13. November 1997 beschloss der Deutsche Bundestag nicht zuletzt wegen des massiven außenpolitischen Drucks, einen § 1a in das Bundesversorgungsgesetz einzufügen, wonach Leistungen an Kriegsopfer für die Zukunft zu entziehen sind, wenn sie während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Die Besonderheit des Untersuchungsgegenstandes besteht darin, dass dem Tatbestand des § 1a Bundesversorgungsgesetz staatsgestütztes, kollektives Unrecht zu Grunde liegt, das von einem Einzelnen während der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurde. Nach der Einleitung in Kapitel eins wird in Kapitel zwei versucht, den verfassungsrechtlichen Begriff der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz nach einer überblickartigen rechtshistorischen Hinführung ideengeschichtlich von seiner positiven Konzeption her zu fundieren. In Kapitel drei werden die Kerntatbestände des materiellen Völkerstrafrechts untersucht. Gegenstand des vierten Kapitels ist die Diskussion der gesetzlichen Ausschlusstatbestände in der deutschen Rechtsordnung. Der Tatbestand „Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit“ hat gerade auch mit der rechtsstaatlichen Bewältigung des vom SED-Regime begangenen Systemunrechts eine außergewöhnliche Aktualität erfahren. Kapitel fünf präsentiert einen Überblick über die deutsche Kriegsopferversorgung als Materie des Sozialrechts. Im Kapitel sechs werden dann in einem weiteren Schritt die bisherigen Untersuchungsergebnisse auf § 1a Bundesversorgungsgesetz übertragen. Inhalt des siebten Kapitels ist die Prüfung der Vereinbarkeit des § 1a Bundesversorgungsgesetz mit dem Grundgesetz. Im achten Kapitel wird die Studie auf die österreichische Kriegsopferversorgung und deren Unwürdigkeitsklausel ausgedehnt. Das neunte Kapitel ist einer Schlussbetrachtung gewidmet. Im Anhang sind Materialien abgedruckt, die dem Leser die Orientierung erleichtern sollen. Hierzu gehört z. B. das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs mit Sitz in Den Haag.