Wladimir Lebedew und die russische Avantgarde
Autoren
Mehr zum Buch
Wladimir Lebedew und die russische Avantgarde Die europäische Avantgarde des beginnenden 20. Jahrhunderts gehört bekanntlich zu den fulminantesten Erneuerungsbewegungen der abendländischen Kunstgeschichte. Thomas Christ widmet sich im ersten Teil seiner Ausführungen dieser vielschichtigen kunstgeschichtlichen Periode und stellt die Behauptung in Frage, dass es sich dabei um eine wirklich internationale Bewegung handelt. Zeitgleiche Parallelerscheinungen stehen im Vordergrund und eigentliche, länderübergreifende Kooperationen nehmen sich eher spärlich aus. Überdies werden die spezifisch russischen Voraussetzungen der östlichen Avantgarde herausgearbeitet und die Tendenzen ihrer Radikalisierungen und Politisierungen erklärt. Im zweiten Teil widmet sich die Monografie dem bedeutenden, aber im Westen noch weitgehend unbekannten Künstler und Grafiker Wladimir Lebedew. Mit seinen Zeitgenossen Rodtschenko, Prokofiew, Bulgakow und Ehrenburg teilt er zwar das Geburtsjahr 1891, doch im Gegensatz zu den meisten Vertretern der russischen Avantgarde hat er seine Heimatstadt St. Petersburg so gut wie nie verlassen. Lebedew arbeitete als Satiriker, Grafiker, Maler und Kinderbuchkünstler und beschäftigte sich mit den kubistischen und suprematistischen Stilrichtungen seiner Zeit. Wie bei Kasimir Malewitsch finden sich auch in seinem Werk auf das Erscheinungsbild reduzierte Gegenstände und schablonenhafte Figuren. Doch während sich Malewitschs geometrisierendes Schaffen mitunter ganz der gegenstandslosen Malerei verschreibt, bleibt Lebedews neue Formensprache figurativ gebunden. Lebedews archaisierende Bildverknappung führt nicht zur Abstraktion, sondern zur Bildreduktion - sie entwickelt sich in seinen politischen Plakaten der frühen zwanziger Jahre zu einem unverkennbaren persönlichen Stil. In Kunstkreisen gilt Wladimir Lebedew als der Begründer der russischen Plakatkunst. Politisch teilt Lebedew das Schicksal mancher seiner Zeitgenossen. Verbannung und Haft bleiben ihm zwar erspart, doch die Hetzkampagnen der neuen Kulturzensoren der dreissiger Jahre treiben ihn in die innere Emigration. Bis zu seinem Tod im Jahre 1967 verweigert er sich allen Einladungen zu Einzelausstellungen. Die vorliegende erste westliche Monografie widmet sich nun neben jenen kunsthistorisch bedeutenden Plakatserien auch seinen im Stile eher impressionistisch gehaltenen Ölporträts der dreissiger Jahre. Sie wirken auf den ersten Blick weniger spektakulär, sind aber künstlerisches Zeugnis eines seelisch ambivalenten Daseins in der damaligen jungen Sowjetunion.