Sorry, Nathan!
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Wenn unsere Sprache nicht sagt, was Sache ist, wie soll unser Denken zu sachgerechten Befunden kommen? Wenn unser Denken nicht zu sachgerechten Befunden kommen kann, wie wollen wir funktionierende Pläne für die Zukunft machen? Drei Strängen geht die Autorin in ihren Untersuchungen nach: - wie Begriffe durch ihr Vorhandensein das Denken leiten, oft auch einengen und unnötig beschränken - wie falsche sprachliche Abbildungen der Wirklichkeit Verwirrung stiften, die tendenziell eher hörig als mündig macht - und wie die Gewöhnung, das Wort nicht wörtlich zu nehmen, bereit macht, an Aussagen und bei Geschichten auch inhaltliche Fehler zu übersehen. Schrattenholzer lädt uns ein, genau hinzusehen und hinzuspüren. Ausführlich angeboten wird das am Beispiel der Toleranz. Diese gilt als erstrebenswert. Aber wollen SIE von einem lieben Menschen gesagt bekommen: „Ich toleriere dich!“? Was stimmt da nicht? Was macht die Sprache mit uns? Was bringt sie unausgesprochen mit? Welche Formen helfen zur Klarheit, welche verursachen Denknebel? Da gibt es beispielsweise den generalisierenden Singular, der eine Denk-Einladung für Vorurteile ist: der Amerikaner hat., der Österreicher/Jude/Italiener tut. Da gibt es auch die unlogischen Mehrzahlformen, bei denen die weiblichen Menschen in der Mehrzahl verschwinden, weil die männliche Bezeichnung plötzlich vom Teilbegriff zum Oberbegriff wird: ein Schüler und sieben Schülerinnen sind acht Schüler. Werden solche Formen verwendet, so muss beim Denken von der Wirklichkeit abgesehen werden. Das ist vor allem politisch gefährlich. Wenn zwei Ausländerinnen und zwei Ausländer für das Denken vier Ausländer sein können, dann sind vier Ausländer unbesehen und unversehens leichter vier Feinde. Wenn uns die Sprache tagtäglich trainiert nur partiell auf die Wirklichkeit zu schauen, so kann das bei größeren Zusammenhängen ebenfalls passieren. Auch die angeblich so bewundernswerte Toleranz eines Nathan, aus Lessings Theaterstück Nathan der Weise, die besonders seit der New Yorker Katastrophe von September 2001 immer wieder als Vorbild beschworen wird, erweist sich bei genauerer Untersuchung als unbrauchbare Zielvorstellung: Sorry, Nathan! Das Buch mündet in die Forderung: „Wenigstens im Wort: Anerkennung der Wirklichkeit“. Im Anfang war das Wort? Welche Worte wählen SIE, damit SIE verantworten können, dass Ihre Worte vielleicht ein Anfang von neuer Wirklichkeit sind?