Der Raum als Wille und Vorstellung
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Wer über den Menschen redet, stößt auf Aufmerksamkeit. Wer über die Zeit nachdenkt, erntet Anerkennung für seine Beobachtungsgabe und diagnostische Schärfe. Doch wer vom Raum schreibt, steht unter Verdacht. Zu stark erscheint der Raum als Altlast, als giftige Ablagerung in den Tiefenschichten kollektiver Erinnerung aus dem Zeitalter des Imperialismus und - gerade in Deutschland - aus dem nationalsozialistischen Diskurs. Der „Deutsche Osten“, „Ostraum“ oder „Lebensraum“ haben das Terrain nachhaltig vergiftet, so dass jeder, der über Raum und Raumverhältnisse nachdenkt, unter einer Begründungspflicht zu stehen scheint. Selbst Karl Schlögel, der in den vergangenen Jahren mit seinen zu Recht vielgelesenen Studien über Moskau, die Petersburger Moderne, das russische Berlin oder die Stadträume in Ostmitteleuropa und Osteuropa mehr zur Osterweiterung des europäischen Denkens geleistet hat als so manche PR-Kampagne, ist dieser Pflicht nicht enthoben. In der Vorrede zu seinem Buch „Im Raume lesen wir die Zeit“ hebt er zu einer solchen Begründung an, welche Motive es sind, die ihm bei seinen mikroskopischen Feldstudien die Feder führen: „Immer erwies sich der Ort als der angemessenste Schauplatz und Bezugsrahmen, um sich eine Epoche in ihrer ganzen Komplexheit zu vergegenwärtigen. Der Ort hatte ein Vetorecht gegen die von der Disziplin und von der arbeitsteiligen Forschung favorisierte Parzellierung und Segmentierung des Gegenstands.“ Einer Zeitschrift wie Osteuropa, deren Interdisziplinarität Programm ist, um gegen die akademische Selbstbiotopisierung und den drohenden Sprachverlust zwischen den Fakultäten zu wirken, steht es gut an, dieses Vetorecht zu überprüfen und Erkundungen im Osten Europas anzustellen. Denn es ist so banal wie wichtig: Die Zeit und der Raum sind fundamentale Kategorien, die das individuelle, gesellschaftliche, politische und damit auch das geschichtliche Sein des Menschen bestimmen. Der Raum als Wille und Vorstellung prägt Wirtschaft und Handel, bestimmt die Konstitution von Herrschaft sowie die Form und Ausübung von Macht, kurzum: Er beeinflußt soziales Handeln in allen Dimensionen. Dies zeigen die mikro- und makrohistorischen Studien in diesem Heft. Das Heft beinhaltet 21 Abbildungen und 6 Karten. Aus dem Inhalt des Osteuropa-Heftes 03/2005 „Der Raum als Wille und Vorstellung. Erkundungen über den Osten Europas“: 'Editorial:' Der Mensch, die Zeit und der Raum, S. 4 'Karl Schlögel:' Die Wiederkehr des Raums – auch in der Osteuropakunde, S. 5 'Andreas Helmedach:' Integration durch Verkehr. Herrschaft im Habsburger Reich, S. 18 'F. Benjamin Schenk:' Imperiale Raumerschließung. Beherrschung der russischen Weite, S. 33 'Klaus Gestwa:' Raum – Macht – Geschichte. Making Sense of Soviet Space, S. 46 'Jörg Stadelbauer:' Kategorien des Räumlichen. Alexander von Humboldts Russlandreise, S. 70 'Gerd Koenen:' Ein „Indien im Nebel“. Alfons Paquet und das revolutionäre Russland, S. 80 'Markus Krzoska:' Slavische Rückkehr in den Westen. Polens Grenzen im Werk Zygmunt Wojciechowskis, S. 101 'Blazej Bialkowski:' Die Souveränität Polens. Zum deutsch-polnischen Historikerdialog, S. 113 'Hans-Christian Petersen:' Ostforschung und Gebietsansprüche. Die Legitimation territorialer Expansion im Werk Peter-Heinz Seraphims, S. 125 'Anna Ananieva:' Der Garten im zarischen Russland. Wechselspiel von Raum und Text, S. 136 'Katharina Kucher:' Raum(ge)schichten. Der Gor’kij-Park im frühen Stalinismus, S. 154 'Vladislava Ždanova:' Weites Land, kleine Heimat. Der Raum und Sprache im neuen Russland, S. 168