Nachtgedanken
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Man kann sie förmlich sehen, die Diva, schlaflos und allein in ihrem nächtlichen Pariser Appartment beim Schein der \"Alabasterlampe\". Die \"pharmazeutischen Mittel\" haben wieder mal versagt, nun tickt sie durch die Nacht, die Tastatur der altmodischen tragbaren Hermes, die einst dem Dramatiker Noël Coward gehörte. \"Mine is a silent world/Without friends/Who died before me/As they predicted\" -- Und doch ziehen sie Nacht für Nacht vor ihrem unruhigen Geist noch einmal vorbei, die Toten, die einst ihr Leben erfüllten. Marlene Dietrich, die sich mit 75 Jahren völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, pflegte in ihren letzten Lebensjahren reiche Gespräche mit ihnen. \"Bitte zieht den Vorhang zu, wir haben unsere Seelen genug erbrochen.\" -- Maria Riva, die Tochter, ist sich nicht sicher, ob ihre Mutter es gut geheißen hätte, ihre unlängst entdeckten \"Nachtgedanken\", diese \"sehr privaten Augenblicke der Schlaflosigkeit\", zu einem Buch zu verarbeiten. Vermutlich nicht, reflektiert die Tochter im fernen Palm Springs im Februar 2005. Man versteht. Der Blick ins Innere einer vereinsamten Seele ist so bedrückend wie beglückend. Denn hätten wir ihn nicht getan, es fehlte uns etwas. Die Nocturnes \"der Dietrich\" sind kleine litarische Perlen, denen die abgeklärte Ruhe einer Endzeit innewohnt. Richard Burton klopft an die Tür ihres Appartments (\"wäre er nicht anderweitig gebunden gewesen, hätte ich mich in ihn verliebt). So wurde sie nur zur Freundin, die er so dringend brauchte. Festgehalten in einer der vielen grandiosen Schwarzweiß-Aufnahmen: der erwartungsvolle, fast flehentliche Blick des Kostümbildners Travis Banton auf Marlene, die seine Kostümzeichnungen kühl begutachtet. Jean Gabin, der Geliebte, wird schmerzlich vermisst (Er zog Liebe aus den Herzen, so wie ein Magnet jedes Metall anzieht). Die Piaf, Katherine Hepburn, Judy Garland, Lubitsch, Fritz Lang, Hemingway und Orson Welles lassen grüßen. General Patton steckt Marlene im Feldzug gegen Hitlerdeutschland in eine Uniform. Die Erinnerungsarbeit an die großen Künstler und Wegbegleiter, wird ergänzt durch Gedankensplitter und nachtschwarze Wortkaskaden, aufgereiht wie an einer Perlenkette und subtil übersetzt von Reiner Pfleiderer. Ein traumverlorenes Buch, in dem man auf länger versinken möchte. -Ravi Unger