Vater Rhein und Mutter Wolga
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„Vater Rhein“ und „Mutter Wolga“ - die Geläufigkeit solcher Allegorien zeigt, wie eng im modernen Bewusstsein nationalgeographische Diskurse mit Geschlechtermetaphern verbunden sind. Diese Verbindung geht vor allem auf das 19. Jahrhundert zurück, als im Zuge der Identitätssuche des modernen Subjekts Geschlechterpolarität in symbolischen Diskursen forciert und in die soziale Praxis übertragen wurde. Zeitgleich wurden nationale Identitätsbildungsprozesse vorangetrieben. Im vorliegenden Band wird das Spiel um Identitäten und Alteritäten in insgesamt 32 Beiträgen (in deutscher und russischer Sprache) verfolgt, wobei aus der spannungsreichen (Kultur-)Geschichte Russlands und Deutschlands/Westeuropas unterschiedliche Epochen der vergangenen 200 Jahre untersucht werden. Für Deutschland steht dabei die Bedeutung der Geschlechtermetaphorik im Prozess der Nationsbildung im 19. Jahrhundert sowie im Gefolge der Teilung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg im Vordergrund. Die jüngsten Ereignisse der deutschen Wiedervereinigung hingegen scheinen nicht mehr im Rahmen dieser traditionellen Denkmuster reflektiert zu werden. In Russland hingegen hat die aktuelle Identitätskrise zu einem verstärkten Rekurs auf vorsowjetische Identitätsmodelle geführt. Der Blick in die Geschichte steht hier gleichberechtigt neben der Auseinandersetzung mit Gegenwartsfragen (die ambivalente Beziehung zum Westen, der Zerfall des sowjetischen Vielvölkerstaates, v. a. die Kriege gegen Tschetschenien u. v. m.). Deutlich zeichnet sich dabei die - eng mit Weiblichkeitsmetaphern verbundene - russische Tradition ab, sich als die Alternative, als das „Andere des Westens“ (Boris Groys) zu stilisieren. In weltanschaulich hochaufgeladenen Genderdebatten wird zugleich die Frage verhandelt, welche Wege nationaler Selbstfindung Russland in Zukunft beschreiten soll.