Nuda veritas
Autoren
Mehr zum Buch
Als Michelangelo Merisi da Caravaggio gegen Ende des 16. Jahrhunderts nach Rom kam, hatte sich die künstlerische Gestaltung des nackten Körpers zu einem der zentralen Interessen zeitgenössischer Maler entwickelt. Nach der vorherrschenden Kunsttheorie war der Akt jedoch nicht so darzustellen, wie er sich realiter präsentierte, sondern so, wie er idealiter sein sollte. Keine Kopie der unvollkommenen Erscheinung eines Menschen war gefragt, sondern die Wiedergabe seiner gottgewollten Vollkommenheit, die sich in der Idealität des Körpers zu manifestieren hatte. Caravaggios Aktgestaltung steht diesem Postulat diametral entgegen. Seine Akte verkörpern keine ideale Typisierung, sondern eine real scheinende Individualisierung, die der Künstler der Aussage des jeweiligen Bildes entsprechend variiert. Die zeitgenössische Kunstkritik brandmarkte diese neuartige Körperauffassung als “naturalistisch” und bezichtigte Caravaggio der Abhängigkeit vom Modell. Daß die lebensnahe Gestaltung der Akte nicht das Abbild eines Modells naturgetreu wiedergab, sondern das beabsichtigte Produkt künstlerischer Imagination war, erkannten weder die Kunstkritiker des 17. Jahrhunderts, noch diejenigen der beiden folgenden Säkula. Die angemessene Würdigung seiner Akte blieb selbst im 20. Jahrhundert aus, als man die bis dahin vorherrschende Geringschätzung Caravaggios in ihr Gegenteil verkehrte und den lange als Protokollant des Naturgegebenen gekennzeichneten Künstler nun als Vorläufer der Moderne rühmte. Trotz der Fülle an Literatur zu Caravaggio – die Bibliographie zu seinem Werk umfaßt weit über 1000 Titel – ist bis heute keine Monographie über sein Aktwerk erschienen. Die vorliegende Arbeit will zur Behebung dieser Forschungslücke beitragen. Ihr Anliegen ist es, Caravaggio als Maler wohlüberlegt imaginierter und sorgsam komponierter Akte vorzustellen und somit jenes Bild eines modellabhängigen Naturalisten zu widerlegen, als welcher der Künstler über Jahrhunderte charakterisiert wurde.