Eßgeschichten und Es(s)kapaden im Werk Goethes
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Eßstörungen sind Krankheiten, die in den letzten Jahren zahlenmäßig, aber auch in ihren Formen und Ausprägungen stark zugenommen haben. Längst sind sie keine außergewöhnlichen psychosomatischen Erkrankungen mehr. Spätestens seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts weiß „man“ Bescheid über Anorexie und Bulimie, die als Krankheiten von Wohlstandsgesellschaften begriffen werden. Fasten, Askese und Dünnsein galten aber nicht immer als Krankheiten. Wer sich (scheinbar) ohne Nahrung am Leben halten konnte, den verehrten die Zeitgenossen als heilige Person oder fällten das (Todes-)Urteil „Hexe“. Zur Krankheit wurde gestörtes Eßverhalten erst relativ spät pathologisiert, und bis heute hat es von seiner Rätselhaftigkeit nichts verloren. Dem Interesse der Medizin an neuen Erkenntnissen über langfristige Nahrungsverweigerung steht das Interesse der sogenannten „schönen“ Literatur gegenüber, die sich spätestens seit Goethes Wilhelm Meister (1795/96) und den Wahlverwandtschaften (1809) mit Eßstörungen (hier: Anorexie) beschäftigt und dabei Geschichten vom Körper und der (kranken) Seele, die darin wohnt, erzählt. In beiden Romanen geht es sowohl um die zur Romanentstehung durchaus noch existierenden Diskurse über Fastenheilige und Wundermädchen, als auch um das als pathologisch begriffene Hungern. Dabei wird ein spezifisch literarisches Wissen entwickelt, das von einer Krankheit berichtet, die erst 1873 mit dem Namen Anorexia nervosa bezeichnet wurde. Bemerkenswert ist, mit welcher Genauigkeit die Krankheit erzählt wird und wie die Erzähler jeweils mit Wunderglauben, aber auch mit der Hoffnung auf Heilung und Rettung abrechnen.
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- ISBN
- 9783826033759