Sozialgerichtliche Kontrolle von Schiedsstellenentscheidungen unter besonderer Berücksichtigung der Schiedsstellen nach den §§ 76 SGB XI und 80 SGB XII
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Konflikte zwischen Sozialleistungsträgern und Leistungserbringern etwa im Rahmen von Vergütungsvereinbarungen werden regelmässig von paritätisch besetzten Schiedsstellen geschlichtet. Bundessozialgericht und Bundesverwaltungsgericht haben den Schiedsstellen nach § 76 SGB XI und § 80 SGB XII dabei einen weiten Beurteilungsspielraum zugestanden: Der Schiedsspruch soll gerichtlich nur dahingehend überprüft werden, ob ein zutreffender Sachverhalt zugrundegelegt wurde und die Abwägung in einem fairen und willkürfreien Verfahren vorgenommen wurde. Die Studie setzt sich mit der Frage auseinander, ob eine derartig eingeschränkte Kontrolldichte mit der Dogmatik zum Beurteilungsspielraum übereinstimmt und mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Um eine Letztentscheidungskompetenz der Schiedsstellen im Sinne einer funktionalen Gewaltenteilung zu rechtfertigen, müssen diese zu einer gerechten Entscheidung eher als ein Gericht geeignet sein. Das ist in Hinblick auf die gesetzliche Ausgestaltung von Zusammenset-zung und Verfahren äusserst zweifelhaft. Es werden daher die verschiedenen Ansätze, mit denen die Gerichte eine eingeschränkte Kontrolldichte begründen, umfassend überprüft. Das Argument, den Vertragsparteien stünde aufgrund ihrer Privatautonomie ein Entscheidungsspielraum zu, ist nur bei einer annähernden Verhandlungsparität der Parteien haltbar. Die Verfasserin legt aber dar, dass die Normen des SGB XI und SGB XII ein Machtgefälle zulasten der Einrichtungen konstruieren, das sich in den Schiedsstellen fortsetzt. Problematisch ist auch die Heranziehung der allgemeinen verwaltungs-rechtlichen Dogmatik zu den Letztentscheidungskompetenzen. Hier zeigt ein Vergleich mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass sich der Schiedsspruch kaum unter die anerkannten Fälle subsumieren lässt, in denen wertenden Entscheidungen von Sachverständigenausschüssen ein Beurteilungsspielraum zugebilligt wird. Zwar ist es Aufgabe der Schiedsstellen, unbestimmte Rechtsbegriffe wie Leistungsgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Qualität auszulegen. Jedenfalls fehlt jedoch dem Schiedsspruch ein wertender oder höchstpersönlicher Einschlag, der eine letztverbindliche Entscheidungskompetenz rechtfertigen könnte. Und auch Zusammensetzung und Verfahren begründen keine Gleichbehandlung, da eine demokratische Entscheidungsfindung in der Schiedsstelle nicht gewährleistet ist. Ein Spielraum kann sich allein aus dem prognostischen Gehalt der Entscheidung ergeben. Der Schiedsspruch ist ein Wahrscheinlichkeitsurteil zur Kostenentwicklung der jeweiligen Einrichtung. Prognoseentscheidungen unterliegen aber einer weitergehenden gerichtlichen Kontrolle, nämlich auf Richtigkeit und Vollständigkeit der Prognosebasis umfassend sowie des prognostischen Schlusses auf Methodik, Plausibilität und Stimmigkeit. Die praktische Relevanz dieses Themas liegt in der Bedeutung für die Leistungsfähigkeit der Einrichtungen. Diese sind auf eine angemessene Vergütung angewiesen, um den qualitativen Anforderungen des Sozialgesetzbuches gerecht zu werden. Wenn ihnen durch die Schiedsstelle eine solche nicht zugesprochen wird und die Gerichte den Schiedsspruch zudem nur sehr eingeschränkt überprüfen, werden Grundrechte tangiert. Es besteht die Gefahr der Unterfinanzierung und damit einer mangelhaften pflegerischen Versorgung.