Nachbarschaft in der Stadt
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Was bewegt eine Wohnungsgenossenschaft, ein Architekturbüro, eine Stadtplanungsabteilung und eine Metropole Zukunft als NACHBARSCHAFT zu buchstabieren? Sie alle haben dabei vier Hektar Land am Ufer des Flüsschens Bille in Hamburg Hamm-Süd vor Augen, auf dem sie nachbarschaftsorientiertes Wohnen verwirklichen wollen. Der heute 85-jährigen „Baugenossenschaft freier Gewerkschafter eG“ geht es bei dem Bauvorhaben auch um die Profilierung der Inhalte von Genossenschaftlichkeit durch innovativen Wohnungsbau an privilegierter Wasserlage. Das Büro „czerner göttsch architekten“ möchte mit ihrem preisgekrönten Wohnkonzept die Kommunikation zwischen den nahe beieinander Wohnenden fördern, vor dem Hintergrund sich stetig differenzierender Lebensstile. Die Stadtplanung des Bezirks Hamburg-Mitte erkennt hier ein soziales Integrationsmodell, das positive Impulse für die Wiederbelebung ihres vergessenen, innenstadtnahen Stadtteils senden könnte. Die Metropole Hamburg schließlich hofft mit überschaubaren Siedlungsstrukturen der Abwanderung einkommensstarker Familien ins Umland begrenzen zu können. Eine Boulevard Zeitung frohlockt schon zu Baubeginn: Das wird ein Haus, um das sich die Mieter reißen werden! Welche dieser Ambitionen den Sprung von der Theorie in die Praxis schafften, ist jetzt nachzulesen. Der Sozialwissenschaftler Erich Schmidt begleitete in einem Forschungsprojekt über mehrere Jahre das Wohnen in den Hallenhäusern an der Steinbeker Straße. Seine minuziöse Analysen des Wohnalltags unterschiedlichster Haushalte in einem gemeinsamen, Glas gedeckten Innenhof scheiden echte Erfolge nachbarschaftlichen Wohnens von dörflicher Sozialromantik, ideologischer Indienstnahme und auch fachwissenschaftlicher Überschätzung. Die ergänzende Rekonstruktion der (un)verwirklichten Entwicklung Hamm-Süds bewahrt dabei vor weiteren Fehlannahmen. Was sich heute in der Rückschau plausibel zusammenfügt, war zum Zeitpunkt des Entstehens kaum absehbar und kaum formuliert. Dieses Nachbarschafts-Lesebuch kontrastiert den praktischen, in Intensität und Ausgestaltung sehr unterschiedlichen, nachbarschaftlichen Alltag der nahe beieinander Wohnenden mit den eiligen Schlussfolgerungen durch die Tages- und Fachpresse, die gleich von community building spricht oder gar der sozialen Nachbarschaft das Feld überlassen möchte, das bisher sozialstaatlich bestellt wurde. Es ist damit gleichzeitig kurzweilige Stadtteil- und Planungsgeschichte wie auch eine Analyse nachbarschaftlicher Beziehungen mit Blick auf Architektur, Genossenschaftlichkeit und im Kontext kommunaler Sozialstaatlichkeit.