Die Sternchen der Pusteblume
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'Ich habe den Studenten erklärt, dass Examina Initiationsriten sind. Bei den sogenannten primitiven Völkern müssen die Jugendlichen oft gefährliche Mutproben bestehen oder Schmerzen aushalten, ehe sie in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen werden. In unserer Gesellschaft verursachen wir denen, die vollwertige Mitglieder werden wollen, keine Schmerzen, weil wir zivilisiert sind. Wir machen ihnen Angst. Freischwimmerzeugnis, Abitur, Führerschein, Staatsexamen sind Lohn der Angst. Kandidaten werden durch die Prüfungssituation künstlich klein gemacht, bis sie bestanden haben. Danach sind sie plötzlich erwachsene oder vollwertige Mitglieder der Gesellschaft, sei es auch nur der Gesellschaft der Psychologen oder der der Mathematiklehrer. Sie sind ruckartig durch den Beschluss einer Kommission aufgestiegen vom kleinen Kandidaten zum Inhaber eines Diploms oder eines Staatsexamens. Wer die Lächerlichkeit dieses Rituals erkennt, dem muss eigentlich die Rolle des Prüflings weniger unangenehm sein als die des Prüfers. Es ist ja nicht der Kandidat, der sich lächerlich macht.' Günther F. Seelig erzählt in seinen Erinnerungen an das 20. Jahrhundert teils einfühlsam, teils ironisch distanziert von einem Jungen, der in Kriegs- und Nachkriegszeit erwachsen wird. Die wechselvolle Geschichte einer freundlich unangepassten Familie von der Großeltern- bis zur Enkelgeneration zeigt einen ebenfalls sympathisch individuellen Lebenslauf: Durch den Wandel von innerer Emigration zu einem auf familiären Prinzipien gründenden wertebewussten Leben erzeugt er kritisches Nachdenken über Politik und Erziehung. Dies führt den Psychologen Seelig zur engagierten Beteiligung an der Lehrerausbildung in Berlin.