Die Vereinheitlichung technischer Spezifikationen im europäischen Eisenbahnwesen als Voraussetzung für Wettbewerb
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Die technische Harmonisierung des europäischen Eisenbahnwesens ist als Aufgabengebiet der Europäischen Gemeinschaft relativ neu. Nachdem die Gemeinschaft auf anderen Gebieten des Wirtschaftslebens bereits lange harmonisierend tätig geworden war, dauerte es bis Mitte der 90er Jahre, ehe die Gemeinschaft auch im Eisenbahnwesen aktiv wurde. Diese Aktivitäten waren auch geboten. Historisch bedingt bestehen bei den Eisenbahnen in Europa in den Mitgliedstaaten nämlich sehr unterschiedliche Randbedingungen: drei verschiedene Spurweiten, fünf verschiedene Elektrifizierungssysteme und verschiedene, nicht kompatible Zugleitsysteme erfordern für grenzüberschreitende Zugfahrten einen Aufwand, der bei PKW oder LKW unvorstellbar wäre. Diese technische Zersplitterung ist als Thema -dem Blick und Interesse der meisten Unionsbürger ohnehin entrückt- erst neuerdings in den Blick der Presse gerückt. Insbesondere gaben die Bemühungen der DB AG, für ihr „Flaggschiff“, den ICE III, in Frankreich eine Zulassung für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zu erhalten Anlass, auf Kuriositäten hinzuweisen, wie dass die in einem Land erforderliche Zulassung von Eisenbahnfahrzeugen an Dingen wie unterschiedlichen Vorschriften über Füllmaterialien von Feuerlöschern und Farben von Tachometernadeln scheitern kann. Diese Zustände versuchte die Gemeinschaft durch zwei Richtlinien zu ändern. Für den Bereich der damals noch jungen Hochgeschwindigkeitsbahnsysteme wurden im Jahr 1996 mit der Richtlinie 96/48/EG des Rates vom 23. Juli 1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems für diesen Teil des Bahnnetzes die institutionellen Voraussetzungen für eine Vereinheitlichung geschaffen. Im Jahr 2001 wurde diese Idee mit der Richtlinie 2001/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2001 über die Interoperabilit ät des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems auf einen Teil des konventionellen Eisenbahnsystems ausgedehnt. Im Rahmen des sog. zweiten Eisenbahnpakets im Jahr 2004 wurden beide Richtlinien grundlegend überarbeitet und bilden die organisatorische Basis des eisenbahntechnischen Harmonisierungsrechts. Dessen materieller Kern ist in den so genannten technischen Spezifikationen für Interoperabilität (TSI) enthalten, die für bestimmte, für das grenzüberschreitende Zusammenwirken der Eisenbahnen wichtige Parameter vorschreiben. Die TSI verweisen schließlich zur Regelung weiterer Details auf harmonisierte Normen. Juristisch ist diese Regelungsmaterie noch nicht im Zusammenhang bearbeitet worden. Die zur Thematik vorhandene Literatur ist vorwiegend von Ingenieuren verfasst und behandelt allenfalls Einzelaspekte der Praxis des Zulassungsverfahrens für Eisenbahnmaterial. Ziel dieser Arbeit ist daher zunächst eine Aufarbeitung der Systematik der Materie und die Schaffung von Bezügen zwischen den primärrechtlichen Grundlagen und dem Sekundärrecht. Diese Zielsetzung gibt zwangsläufig vor, dass auf eine detaillierte Darstellung der auftauchenden Einzelprobleme verzichtet werden muss. Hier wäre jede Auswahl willkürlich, ein Versuch der Darstellung aller Probleme würde den Rahmen der Arbeit sprengen.