"... ich bin sicher, dass ich ihn lieben lerne ..."
Autoren
Mehr zum Buch
Die russische Musik, von ihrer Tradition her homophon strukturiert, begegnete seit dem frühen 19. Jahrhundert dem kontrapunktischen Denken Mittel- und Westeuropas. Als Bezugsgröße für die dadurch ausgelöste Auseinandersetzung fungierte insbesondere J. S. Bach, dessen Werke in Russland im späten 18. Jahrhundert bekannt wurden. Doch vollzog sich die russische Bach-Aneignung keinesfalls bruch- und widerstandslos (wie zuweilen in sowjetischer Literatur dargestellt). Dies zeigt sich v. a. an den Debatten der 1860er Jahre um die nationale Identität, an denen sich nahezu alle russischen Komponisten beteiligten – angefangen von Glinka und Odoevskij, die diesen Diskurs eröffneten, über Balakirev, Musorgskij und Rimskij-Korsakov bis hin zu Cajkovskij und Taneev, der ihn in eine neue Dimension führte. Die slawophilen Bestrebungen, die das Ringen um eine eigenständige „russische“ Musik begleiteten, beeinträchtigten zeitweise die Rezeption westlicher Komponisten – darunter auch diejenige Bachs. Die vorliegende Studie geht der Frage nach, inwiefern die Kontroverse um „Russland und den Westen“ sich auch auf Bach und sein Werk erstreckt hat und welche Funktion Bach innerhalb der Diskurse, die diesen Kulturtransfer begleiteten, zugewiesen wurde. Besondere Beachtung erfährt dabei der Aspekt der kompositorischen Rezeption, dem anhand ausgewählter Klavierfugen analytisch nachgespürt wird. Ein Ausblick auf die Vereinnahmung Bachs im Sozialistischen Realismus sowie ein Personenregister runden diese Untersuchung ab. In the early nineteenth century Russian music, with its traditionally homophonic structure, began to encounter the contrapuntal theory of Central and Western Europe. J. S. Bach became a reference point in the debates triggered by this encounter, his work having become known in Russia in the late 18th century. But Russia did not accept Bach wholeheartedly and without resistance (as can occasionally be seen in Soviet literature). This is particularly obvious in the context of the debates in the 1860s about national identity, in which almost all Russian composers were involved – started by Glinka and Odoevsky, who initiated this discourse, continued by Balakirev, Mussorgsky and Rimsky-Korsakov, and then by Tchaikovsky and Taneyev, who took it into a new dimension. The Slavophile tendencies which accompanied the struggle for an individual “Russian” music at times affected the reception of western music – including that of Bach. This study investigates how far the controversy about “Russia and the West” extended to Bach and his work, and the role allotted to Bach in the discourse accompanying this cultural transfer. Particular attention is paid to the aspect of compositorial reception which is analysed on the basis of selected piano fugues. An examination of the later appropriation of Bach by socialist realism and an index of personal names complete the study.