Lesarten des Rechts
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Nach dem Selbstverständnis der Jurisprudenz ist der Richter nicht mehr als der Mund des Gesetzes, welcher nur die Worte ausspricht, die im Gesetzbuch festgehalten sind. Was Recht und was rechtens ist, ist indes an das Medium der Sprache gebunden. Die Vorstellung, Recht lasse sich dem Gesetzbuch entnehmen, führt in die Irre, denn die Auslegung der Gesetze bedarf einer Vielzahl von Akzentuierungen, Verknüpfungen und Verschiebungen nicht nur eines, sondern vieler Texte. Das Gesetz ist kein in Stein gehauenes, in sich ruhendes Werk, sondern ein Hypertext, dessen Sinn sich erst im Verfahren erschließt. Beide Parteien haben das Gesetz verstanden – nur in gegensätzlicher Weise. Ständig schaffen sie neue Texte, welche Legitimität und Autorität der Rechtsprechung stützen oder in Frage stellen können; ständig liegen die Lesarten des Rechts im Verfahren miteinander im Wettstreit, werden fortgeschrieben und gestärkt oder heruntergespielt und geschwächt. Eine Sicht auf das Verfahren, welche diese andauernden Umschreibungen des Rechts vernachlässigt, verschleiert die Komplexität der Mechanismen der Rechtsprechung, für deren genauere Beschreibung ein medienreflexives Rechtsverständnis erforderlich ist. Erst eine Medientheorie des Rechts kann zeigen, dass die Formen und Inhalte des Rechts konstitutiv mit den Medien der Rechtskommunikation verknüpft sind.