Büdingen als Sammelplatz der Auswanderung an die Wolga 1766
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Veröffentlichung von Dr. Klaus-Peter Decker über die Auswanderungswelle ins Zarenreich vor fast 250 Jahren. Dokumente aus einer Zeit vor nicht einmal 9 Generationen bieten eine Fülle von Fakten und damit Recherchemöglichkeiten für die Ahnenforschung. Neu aufgenommen wurde das vollständige Heiratsregister der Trauungen, die in Büdingen stattfanden. 1766 erlangte Büdingen kurzzeitig Bedeutung im Felde europäischer Politik als einer der wichtigsten Sammelplätze der Massenauswanderung nach Russland. Nachdem Zarin Katharina die Große 1763 in einem Aufsehen erregenden Manifest zur Ansiedlung in neuen Kolonien an der Wolga einlud und dafür erhebliche Privilegien und Fördermittel versprach, zog es Tausende in die russischen Werbebüros. Der Reichstag und die großen Reichsstände aber reagierten mit drastischen Verboten, um eine „Reichsentvölkerung“ zu verhindern, so dass die Werber in kleinere Herrschaften ausweichen mussten. Der Büdinger Landesherr, Graf Gustav Friedrich zu Ysenburg, duldete die Tätigkeit des zuvor aus Frankfurt ausgewiesenen Werbekommissars Facius – auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. Hier nahmen daher zahlreiche der großen, militärisch organisierten Trecks ihren Ausgang, welche die Auswanderer und ihre Habe per Wagen und die Flüsse hinab nach Lübeck führten, um von dort die Reise über die Ostsee nach dem russischen Hafen Oranienbaum fortzusetzen, von wo aus die Menschen erst Monate später ihr Ziel an der Wolga erreichten. Offizielle Akten über das Geschäft der russischen Kommissare, das sich an der Grenze zur Illegalität abspielte, haben aber - wohl bewusst - nicht überdauert. Daher musste das Geschehen in mühsamer Kleinarbeit aus zahlreichen Indizien rekonstruiert werden, wobei auch Fauerbach bei Friedberg, wo ebenfalls ein Werber tätig war, vergleichend betrachtet wird. Eine besonders wichtige Quelle bilden die im Heiratsregister der Büdinger Pfarrei vermerkten Kolonistentrauungen, denn von März bis Juni 1766 gaben sich in der Marienkirche 375 Paare das Ja-Wort. Dass nicht die oft unterstellte „Wanderlust“, sondern wirtschaftliche Not und soziale Zwänge vor allem junge Leute zur Emigration trieben, geht aus Personalakten hervor, die im Wächtersbacher Teil der Grafschaft akribisch zu den Auswanderungsgesuchen angelegt wurden. Für manche russlanddeutsche Familie beginnt mit den Vorgängen von 1766 in Büdingen die eigene Familiengeschichte. Viele Menschen mit diesen Wurzeln, die aus den Nachfolgestaaten der UdSSR in den vergangenen Jahre wieder nach Deutschland kamen oder schon zuvor in alle Erdteile zerstreut wurden, treibt eine vage Erinnerung an die Herkunft aus dem hessischen Raum dazu, eine Antwort zu den Fragen ihrer Wurzeln in Büdingen zu suchen. Hierzu ist auch die neuere Forschungsgeschichte berücksichtigt. Beigegeben ist eine sorgfältig geprüfte Liste mit den Namen der Kolonisten, die 1766 in Büdingen geheiratet haben, und - als Beispiel - eine Zusammenstellung von Daten der Auswanderer aus dem Ort Düdelsheim, die durch die Angaben über die Ankunft an der Wolga und die dortige Erstausstattung ergänzt werden, wie sie von Igor Pleve veröffentlicht wurden. In diesem Zusammenhang sei auf „Johann Jährig und seine Zeit – Ein Büdinger forscht bei den Mongolen“ hingewiesen, dessen Lebensgeschichte die Leser gleichfalls auf eine spannende Reise in die Zeit Katharinas II. mitnimmt.