Ursula Pfaffinger, Agnes Sampach, Elisabeth Kempf, Caritas Pirckheimer u.a. - Chronistinnen von Amts wegen
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Folgt man den Ausführungen im „Lexikon des Mittelalters“ [1980 ff.], so ist die Historiographie, so weit man sie zurückverfolgen kann, eine Domäne ausschließlich männlichen Wirkens. Unter den Stichwörtern Historiographie, Chronik, Annalen, Vita, Gesta und Kalender bezeugen jedenfalls allein Texte von männlicher Hand, dass die Hauptgattungen der Geschichtsschreibung – Chronik, Annalen, Vita und Gesta – bereits eine lange Tradition haben, als bei den deutschen Stämmen mit dem 9. Jahrhundert das Bedürfnis zu eigener Geschichtsschreibung entsteht. In diesem Handbuch wird darauf verwiesen, dass in Deutschland wie in anderen Teilen Europas historiographische Texte bis ins hohe Mittelalter „fast ausschließlich von Klerikern und Mönchen“ und meist in lateinischer Sprache abgefasst werden. „Erst vom 12./13. Jahrhundert an begegnen auch volkssprachliche Werke in größerer Zahl.“ [Ebd., Bd. 5, Sp. 50.] Es wird ausgeführt, dass mit der Ausbildung sozial differenzierter Interessen an Geschichtsschreibung zum einen die funktional gesteuerte Subklassenbildung innerhalb der genannten Gattungen zunimmt und zum andern die Übergänge zwischen ihnen fließender werden. Und es wird hervorgehoben, dass das späte Mittelalter vor allem mit der wachsenden empirisch-realistischen Darstellung vergangener Geschichte und der Hinwendung zur Zeitgeschichte, zur Darstellung von Alltagsereignissen, Selbsterlebtem und Selbstbewirktem neue Akzente setzt [ebd.]. Unerwähnt bleibt, dass zumindest seit dem 10. Jahrhundert auch Frauen in diesen historiographischen Prozess integriert sind. Zur Dokumentation werden auch hier wie selbstverständlich nur männliche Quellen herangezogen, so dass die angeführten Textsorten der Historiographie: Weltchronik, Stammes-, Reichs-, Landes-, Stadt-, Kloster-, Familienchronik; Reichsannalen; Heiligenvita, Herrschervita, Biographie, Autobiographie; Gesta, Heldengedicht, Handlungsbuch; Memorialbuch, Denkwürdigkeiten, Familienbuch, Reisebeschreibung, Tagebuch u. a. – für den Betrachtungszeitraum Mittelalter durchweg als männliche Äußerungsrahmen erscheinen. Wie weit dieses Bild von der Wirklichkeit abweicht, zeigt eine Recherche im Verfasserlexikon „Deutsche Literatur des Mittelalters“ [19782 ff.]. Von den mehr als fünfzig Frauen, die dort als Abschreiberinnen, Kompilatorinnen, Über8 setzerinnen, Bearbeiterinnen, Berichterstatterinnen, Diktiererinnen oder Verfasserinnen von lateinischen und deutschen Texten genannt werden, sind über vierzig in den historiographischen Prozess eingebunden. Zu dem im „Lexikon des Mittelalters“ entworfenen Zeitbild stimmt, dass es bis auf ganz wenige Ausnahmen geistliche Frauen sind, die sich hier einbringen. Am Anfang dieser durch Quellentexte belegten weiblichen Teilhabe steht die Kanonisse Hrotsvit von Gandersheim (geb. ca. 935, gest. nach 973 ?) mit den beiden von ihr verfassten lateinischen Geschichtsdichtungen: einer Herrscherfamiliengeschichte, der „Gesta Ottonis“, und einer Klostergeschichte, der „Primordia coenobii Gandeshemensis“, sowie einem Legendenbuch, in dem acht Heiligenleben dargestellt sind, darunter die von Maria und Agnes.