Verborgene Präsenzen
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Der Holocaust bewegte sich erst mit einer Verzögerung von etwa dreißig Jahren ins Zentrum der Erinnerung an den Nationalsozialismus. So herrschte zu Kriegsende zwar die Ahnung vor, dass etwas Unvorstellbares geschehen war. Am Übergang zu den 1950er Jahren verschwand diese zaghafte Erkenntnis jedoch; der Blick auf den Holocaust wurde blockiert. Trotzdem war die Erinnerung an Auschwitz auch in dieser Zeit der verstellten Wahrnehmung nicht luftdicht abgeschlossen. Der Massenmord und seine Vorgeschichte verschafften sich in einer verborgenen Form Geltung: ob im Kontext der spätstalinistischen Kampagne gegen „Kosmopolitismus und Zionismus“ Anfang der 1950er Jahre, des Algerienkrieges oder der Debatten um die atomare Aufrüstung. Diese Kombination aus blockierter Wahrnehmung und verborgener Präsenz steht im Zentrum der vorliegenden Studie. Es wird der Frage nachgegangen, wie insbesondere die weit in die Zwischenkriegszeit zurückreichende Erfahrungsgeschichte der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung eine Wahrnehmungsstruktur ausbildete, in der die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden keinen Platz fand. Anhand eines Überblicks über den Forschungsstand werden Problem- und Fragestellungen entworfen, die dazu beitragen sollen, sich einer Gedächtnisgeschichte des Holocaust der deutschsprachigen Linken in erkenntnistheoretischer Hinsicht zu nähern. Damit soll zugleich ein Beitrag zu einer historischen Rekonstruktion der deutschsprachigen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung geleistet werden.