Transdisziplinäres Design
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AuszugEin manifestes Vorwort Warum es weder Design noch Kunst geben sollte! Viele Designer pflegen ein Selbstverständnis als Künstler. Dabei schwingt oft ein weinerlicher Ton mit. Dieser besagt, dass man sich doch nur dem Kommerz hingebe, weil man ja unverstanden sei. Diese Argumentation wird weithin akzeptiert. Mir ging sie stets auf die Nerven – jedoch aus einem bestimmten Grund: Denn beide Begriffe werden in aller Regel verwendet, ohne diese je zu definieren. Somit wird überhaupt nichts ausgesagt; dies aber mit der Attitüde größter Relevanz und Welt-Weisheit. Beides, Kunst und Design, wird immer schon als existent und bekannt vorausgesetzt. Wer es wagt, danach zu fragen (oder nachzufragen), macht sich schnell unbeliebt. Glücklicherweise war es nie mein Begehr, von allen geliebt zu werden. Daher konnte ich hartnäckig meiner Neugier und meinem Erkenntnis-Interesse folgen. Denn die Anderen folgen ja auch ihren Interessen, allerdings sind dies häufig sehr eigennützige: Ganz unterschiedliche Interessens-Gruppen (oder neudeutsch: Stakeholder) verfolgen mit dem Thematisieren der Unterscheidung „Kunst“ versus „Nicht-Kunst“ (oder ebenso „Design“ versus „Nicht-Design“) spezifische Ziele. Im Wesentlichen erzielen so verschiedene Leute wie Künstler/Designer, Kunsthistoriker, Kunsthändler, Kunstkäufer, etc. Gewinne in drei unterschiedlichen Währungen: Geld, Status und soziale Kontakte. Um die „Pfründe“ zu sichern, scheint es strategisch sinnvoll, die Fragen nach deren Berechtigung gar nicht erst aufkommen zu lassen: Also wird so getan, als hätte es „Kunst“ immer schon gegeben. Die historische Entstehung dieser Kategorien wird schlicht unterschlagen oder geleugnet. Auch die Tatsache, dass ein Begriff wie „Kunst“ in jedem Jahrhundert etwas anderes bedeutete, wird einfach ignoriert. Spätestens Ende des 20. Jahrhunderts war deutlich, dass die binäre Unterscheidung „Kunst“ versus „Nicht-Kunst“ unsinnig ist. Wenn man am Kunst-Begriff überhaupt festhalten wollte, müsste man jedem Artefakt einen gewissen Kunst-Wert zuschreiben, der nur graduell unterschiedlich hoch ist. Jedoch kann man vom Aufrechterhalten der scheinbar trennscharfen Unterscheidung auch trefflich profitieren – ohne lästige Konkurrenz. Das Verwenden der binären Unterscheidung „Kunst“ versus „Nicht-Kunst“ lässt sich somit aus den beschriebenen Objekten nicht länger rechtfertigen. Offensichtlich ist das Festhalten daran begründet in der Tatsache, dass diese (obwohl inhaltlich hohl) hervorragend funktioniert – als soziale Exklusions-Rhetorik. Die Diskurse um Kunst oder Design (vor allem da, wo es um den Besitz der „richtigen“ Objekte geht) dient also primär der Eliten-Produktion: Es handelt sich um esoterische Worthülsen, die nur aufzeigen sollen, dass man sich auf der Innenseite der Grenze befindet. Dies begründet den eigenen Status und vor allem auch die gleichzeitig damit postulierte Autorität, über die Zugehörigkeit anderer entscheiden zu dürfen. Spätestens durch meine ästhetische Theorie (siehe Kapitel 8 dieses Buches) wird deutlich, dass die ästhetische Erfahrung überhaupt keines Objektes bedarf: Dieses Erleben bezieht sich auf neuronale Um-Codierungen im Beobachter – es ist daher nur als Prozess sinnvoll zu verstehen und zu beschreiben. Artefakte können dabei eine (Neben-)Rolle spielen, müssen es aber gar nicht. Ästhetik ist folglich die Theorie von spezifischen Beobachtungs-Prozessen. Strukturell ist es von einigem Humor, sich die Parallelen zwischen dem künstlerischen und dem priesterlichen Selbstverständnis anzusehen. Auch historisch ist es von Interesse, dass diese Art von exkludierendem Kunst-Geschwätz in jener Zeit entstand, in welcher die Aufklärung begann, die überkommene Religion kritisch zu hinterfragen. Der Künstler als Pseudo-Priester in einer säkularen Gesellschaft. Kunst und Schamanismus: Künstler pflegen gerne ein Selbstverständnis, das sie einer kritischen Reflexion enthebt. Die Behauptung, Kunst sei etwas Transzendentes, das (diesseits) nicht verbal erklärt werden könne: Kunst darf nicht definiert werden, da sie dadurch zerstört (entheiligt) wird. Der Künstler taucht also ins Jenseits hinab und bringt von dort das Unsagbare mit her: Schamanismus pur? Kunst und Animismus: Die Logik von „Spruchzaubern“ (dazu gehören auch Flüche) besteht darin, dass etwas nicht gesagt werden dürfe, weil es dadurch eine Existenz erhalten würde, die nicht mehr kontrollierbar scheint. In dieser Weise proklamiert der Künstler üblicherweise eine Relevanz (und Macht), die vom Werk ausgehen würde: Animismus pur? Kunst und Totemismus: Unsere Kunstgeschichte ist voll von „Meisterwerken“, die unzweifelbar ins Weltkultur-Erbe gehören. Signifikant ist, dass es sich hierbei in der Regel um alte Kunst handelt, die unser Wesen (des „Volkes von Dichtern und Denkern“) prägen. Wenn wir ein solches Werk zerstörten, würden wir uns selber umbringen. Diese symbiotische Identifikation (im indexikalischen Sinne) zeichnet den Ahnen-Kult aus: Totemismus pur? Von der Natur über das Wort zum Algorithmus. Vom Objekt zum Subjekt: Frühe Kunstformen verstanden sich als Kreation im religiösen Sinne. Es wurde demnach eine Gegenwelt „Kunst“ erschaffen, die sich auf die Natur bezog: Kunst als objektive Anti-Natur. Dieser globale Anspruch wurde später relativiert (nach Jean Piaget: „dezentriert“), woraus sich ein lokaler Anspruch entwickelte. Auf das Subjekt bezogen könnte die Formulierung von „die Welt erschaffen“ zu „meine Welt schaffen“ korrigiert werden. Kunst bezog sich damit nicht mehr auf die Natur, sondern auf die Begriffe, die im humanistischen Verständnis den Menschen auszeichnen, da ja nur er Sprache besitzen würde. Vom Subjekt zum Projekt: Inzwischen vollzog die Kunst (nach dem „linguistic turn“) einen „cybernetic turn“. Kunst bezieht sich im systemtheoretischen Sinn nicht mehr auf die Welt, sondern ist ihrerseits (selbstbezügliche) Kommunikation. Damit ist die Kunst (nach Niklas Luhmann) ein soziales System – und stellt somit ein Funktions-System unserer Gesellschaft dar. Folglich besteht die Aufgabe von Kunst im Thematisieren der Unmöglichkeit von Wahrnehmung (da soziale Systeme keine Sensorien besitzen). Lediglich Irritationen durch lose Koppelungen mit biologischen und psychischen Systemen sind möglich und werden kommuniziert. Warum die Künstler den Begriff lieben, aber nicht die Definition. Intra-disziplinäre Kunst: Intra-disziplinäre Künstler lehnen jede „Funktion“ der Kunst ab (wie Nützlichkeit oder Dekoration), da sie ja nur transzendent denotiert ist. Wie die platonischen Ideale ist Kunst ebenfalls Ursache und Wirkung zugleich! Dies wird logisch durch die „causa finalis“ realisiert. Wo profane Dinge nur Abbilder („Ikone“) des Idealen sind, bezeichnet Kunst selbst ein ideales Ding („Index“). Inter-disziplinäre Kunst: Der Wandel vom ewigen „Ideal“ Platons zum „Modell“ der Aufklärung liegt in der Erkenntnis, dass die Vorbilder sich durch Erfahrung (also „empirisch“) verbessern lassen. Damit ist nichts weniger als das Prinzip der Rückkopplung eingeführt. Der inter-disziplinäre Künstler ist dem Kult daher nicht mehr so unmittelbar verbunden. Mit dem Feedback haben wir eine technologische Basis, die ein neues Motto kreiert: Jetzt erst kommt Kunst von Können – also einem graduell mehr oder weniger Können. Trans-disziplinäre Kunst: Trans-disziplinäre Kunst akzeptiert, dass es unmöglich ist, nicht Künstler zu sein und schafft die Unterscheidung ab. Globale Leit-Differenzen sind damit obsolet. Die mediale oder kognitive Produktion von Künstlern ist nun spannender als die von Kunst. Nachdem hiermit klar ist, dass der Künstler strukturell gesehen dieselben Operationen ausführt wie jeder andere Beobachter in einer modernen Gesellschaft auch: Wir können entweder den Titel des ‚Künstlers‘ weiter gebrauchen als einen sentimentalen Anachronismus (wie etwa auch Adels-Titel weiter durch die Gazetten für mental Autoritätsbedürftige geistern). Wir können das permanente Geschwätz vom „Künstler“ auch einfach sein lassen. Oder wir verändern den Blickwinkel und damit das Erkenntnis-Interesse, indem wir überlegen, wem das Geschwätz vom Künstler eigentlich nutzt. Die Exklusions-Rhetorik „Kunst“/„Design“ Wer sind die Stakeholder der Kunst-Branche? Beide Bereiche (‚Kunst‘ und ‚Design‘) haben in soziologischer Perspektive eines gemeinsam: Sie produzieren Eliten. Das sind jene Kreise, die sich selbst der Kennerschaft bezichtigen. Zentral hierbei ist aber ein Tabu: Man darf niemals fragen, was denn ‚Kunst‘ oder ‚Design‘ eigentlich seien (also nach einer Definition verlangen), denn bereits die Frage würde den Interessenten als „unsäglich“ (und damit jeder Antwort als unwürdig) ausweisen. Das wäre peinlich. Ähnlich peinlich wäre es, wenn Sie bei einer feierlichen Zeremonie jemanden fragen, ob er nicht gerade lügt, ob er überhaupt lesen und schreiben könne oder ob er nicht ein Steuerhinterzieher oder Erbschleicher sei. Vieles wird im sozialen Spiel implizit stets vorausgesetzt. Es explizit zu hinterfragen, würde eben dieses „Sprachspiel“ sprengen. Zu deutlich würde es zeigen, dass Sie die Spielregeln nicht kennen oder nicht beherrschen – also nicht zu dieser (Hoch-)Kultur gehören. Davor fürchtet sich der ängstliche Möchtegern-Bildungsbürger so sehr, dass er lieber keine „peinlichen Fragen“ stellt. In der Konsequenz stellt er gar keine Fragen, sondern imitiert nur das Verhalten und die Sprachspiele der vermeintlich Wissenden. Das sind de facto aber nur jene, deren Autorität er unhinterfragt akzeptiert. Traditionell waren dies Adelige, denen der Bürger dümmlich nachhechelte – bis heute. Nicht nur in den Märchen kriegen die männlichen Müllerssöhne und weiblichen Aschenputtel am Ende doch die Königstocher bzw. den Thronerben. In den bürgerlichen Phantasien werden die sonst unüberwindlichen Grenzen vom „profanen“ zum „heroischen“ Sein gemeistert – statt hinterfragt. Es geht also um eine Transformation von einer Seinsform (der profanen) zu einer anderen (der heldischen), wie Thorstein Veblen sehr lesenswert bereits vor über 100 Jahren erkannt hat. Um von dieser Transformation profitieren zu können, muss diese unbedingt existieren. Die Gefahr, dass bei genauerem Hinsehen sich der Unterschied als Phantom entpuppt, wäre unerträglich. Wenn wir als Erwachsene schon nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben dürfen (aber trotzdem fleißig Geschenke-Plunder im Advent kaufen), so wollen wir wenigstens die Träume von Adel und Kunst behalten: Einerseits würden wir ohne diese Perspektive auf eine (unhinterfragte) Transformation unser Leben als ziel- und deshalb sinnlos ansehen, was der Mensch psychologisch nicht gut wegsteckt. Andererseits geht es um eine Logik, die nicht über unser gegenwärtiges Dasein hinausweist, sondern es als Bühne für kleinere Siege nutzt: Wer sich auf die Sozialisation durch Imitation eines Erfolg versprechenden Habitus einlässt, kann recht schnell konkret profitieren. In der Rolle des Künstlers, Designers, Galeristen oder auch Kunstgeschichtlers bieten sich echte Einkommens- und Status-Chancen. Wieso sollten also gerade diese Personen aufhören, von Kunst bzw. Design zu schwätzen – oder eine Definition einfordern, die ihnen das Leben schwer macht? Wir sehen, das ist eine zutiefst naive Forderung! Wissenschaft jenseits von Kunst und Design Es gibt einen Ausweg. Wenn die Motivation nicht jene ist, auch ein Stück vom Status-Kuchen und/oder endlich einen eliten-adäquaten Stundensatz zu erheischen. Es sind auch so altmodische Motivationen wie Erkenntnis-Gewinn denkbar. Denn auch dieser Gewinn ist eine Form von Kapital. Mein persönlicher Antrieb zum analytischen Klären von scheinbar selbstverständlichen Begriffen ist im ursprünglichen Sinne ein Wunsch nach Aufklärung. Es hat mich immer gelangweilt, eine Religion durch eine nun modischere Ersatz-Religion zu ersetzen. Es gilt daher wegzukommen. Weg von „Designer-Stühlen“ (versus profanen Arsch-Ablagen?), weg von „Kunst-Fotografie“ (versus profanen Ab-Bildern?), hin zu einem produktiven Abstraktions-Niveau der Analyse. Weg vom Einzelfall, hin zu aussagekräftigen Unterscheidungen. Weg von scheinbar binären Schwarz-Weiß-Unterscheidungen wie „Kunst“ versus „Nicht-Kunst“ und „Design“ versus „Nicht-Design“. Hin zu graduellen Unterschieden in der Typikalität, der Prägnanz und der Effizienz von Interventionen. Auf diesem Weg werden wir sehen, dass jede strategische (also bewusst in Mitteln und Methoden reflektierte) Handlung ein Design-Problem ist. Und wir werden sehen, dass allgemeine Begriffe wie Effektivität („Wirksamkeit“), Effizienz („Wirkungsgrad“) und Suffizienz („Zielerreichung“) eine universelle Medien- und Methoden-Kompetenz fördern, wo das Geschwätz von Kunst diese verhindert. Weiterführende Literatur Allesch, Christian G. (1987): „Geschichte der psychologischen Asthetik. Untersuchungen zur historischen Entwicklung eines psychologischen Verständnisses ästhetischer Phänomene.“ Göttingen: Hogrefe Verlag für Psychologie. Baecker, Dirk (1994): „Die Beobachtung der Kunst in der Gesellschaft.“ In: Krass, Stefan (1994): „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner ästhetischen Kommunizierbarkeit. Freiburger Kulturgespräche im Marienbad 1994. Band 1“. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verlag. Böhme, Gernot (2001): „Aisthetik: Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre.“ München: Fink. Bourdieu, Pierre (1982): „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.“ Frankfurt/Main: Suhrkamp. (frz. 1979) Hauskeller, Michael (2. Aufl. 1998): „Was ist Kunst?: Positionen der Ästhetik von Platon bis Danto.“ München: Beck. Kleiber, Georges (2. Aufl. 1998): „Prototypensemantik. Eine Einführung.“ Tübingen: Gunter Narr. Mangasser-Wahl, Martina (2000): „Roschs Prototypentheorie – Eine Entwicklung in drei Phasen.“ In: Mangasser-Wahl, Martina (Hrsg.) (2000): „Prototypentheorie in der Linguistik. Anwendungsbeispiele – Methodenreflexion – Perspektiven.“ Tübingen: Stauffenburg. Reicher, Maria E. (2005): „Einführung in die Philosophische Ästhetik.“ Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Rosch, Eleanor (1978): „Principles of categorization.“ In: Rosch, Eleanor & Lloyd, Barbara B. (Eds.) (1978): „Cognition and Categorization.“ Hillsdale: Lawrence Erlbaum Associates. S. 21–41. Schneider, Norbert (4. Aufl. 2005): „Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne: Eine paradigmatische Einführung.“ Stuttgart: Reclam. Schwarzfischer, Klaus (2003): „Transdisziplinäres Design: Design als Intervention und Therapie.“ Regensburg: Apoplekt. Schwarzfischer, Klaus (2008): „Beobachtende Systeme: Dezentrierende Gestalt-Integration als Basis einer Ästhetik des Alltags“ Vortrag auf dem VII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik (DGÄ) „Ästhetik und Alltagserfahrung.“ am 1. Oktober 2008 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. PDF-Version online verfügbar unter: http://www. dgae. de/downloads/Klaus_Schwarzfischer. pdf Tscheryschewskij, Nikolai Gawrilowitsch (1954): „Die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit.“ (Hrsg. von Wolf Düwel. Mit einem einführenden Essay von Georg Lukács). Berlin: Aufbau-Verlag. (russisch 1853) Veblen, Thorstein (6. Aufl. 2000): „Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen.“ Frankfurt/Main: Fischer. (engl. 1899: “The Theory of the Leisure Class.“) Welsch, Wolfgang (1996): „Grenzgänge der Ästhetik.“ Stuttgart: Reclam.