Sprache, Nation und Internet
Autoren
Mehr zum Buch
Die Sowjetunion und Jugoslawien sowie ihre jeweiligen Nachfolgeentitäten können als typenhafte multiethnische Gebilde der slavischen Welt gelten. In ihnen spielten und spielen die Begriffe „Nation“ und „Volk“ im Außenverhältnis wie im Binnenverhältnis von ethnischen, sozialen und religiösen Mehrheiten und Minderheiten eine Rolle von herausragender Bedeutung. Dabei kommt den Medien, heute insbesondere dem Internet, bei der Konstitution von Identität und Alterität eine zentrale Funktion zu. Diese wird einerseits von der Sprache gesteuert, wirkt aber andererseits selbst auf die Sprache ein, so dass sich eine enge Verzahnung von linguistischen und außerlinguistischen Fragestellungen bei der Untersuchung des Wechselspiels von Sprache, Nation und Internet ergibt. Der Mensch ist als analoges Individuum Teil einer traditionellen Gemeinschaft, einer Nation, eines Volkes, und zugleich als Internetnutzer Teil der Internetgemeinde, der Netizens, die einzeln und als Gruppe das internationale Computernetzwerk konstituieren. Dieses schafft mit seiner virtuellen Ethnizität einen Überbau, der ebenso bestehende Grenzen aufheben wie neue schaffen kann. Basierend auf einer jeweils konzisen Übersicht über die jüngste Geschichte der Ex-Sowjetunion und Ex-Jugoslawiens werden die vielschichtigen Implikationen des Nationen-Begriffs historisch, kultur- und sprachwissenschaftlich beleuchtet und an einer Vielzahl konkreter Beispiele lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Organisationen und Institutionen veranschaulicht. Diese Beispiele zeigen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Internets im Interesse eines Minderheitenschutzes ebenso wie seine (sprach-)politische Instrumentalisierbarkeit in Konfliktfällen und sein Kampfpotenzial bei militärischen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen und/oder religiösen Gemeinschaften sowie im (Anti-)Terrorkampf. Das Internet schafft eine Synthese aus Schrift, Bild und Ton, die ebenso bewusst wie unbewusst zur Affirmierung, Modifizierung und Potenzierung traditioneller nationaler Symbole, Ereignisse und Mythen herangezogen wird und durch diese Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrer Wirkungsmächtigkeit kaum zu überschätzen ist. Die weltliche Politik wie auch die Religion haben dies erkannt und setzen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit in starkem Maße auf das Internet. Die intensive Nutzung dieses Mediums ruft im Gegenzug immer wieder Zensurbestrebungen auf den Plan, die zeigen, dass das Diktum vom Internet als einem zutiefst demokratischen Massenmedium nur bedingt der Realität entspricht. Zutreffend ist es in den interessanten Fällen, in denen Meinungsbildung von unten praktiziert wird, etwa in den ambitionierten Projekten alternativer Netzwerke oder freier Internet-Enzyklopädien, aber auch bei den teils harmlosen, teils durchaus beängstigenden Internetmythen. Zwischen den drei Eckpfeilern Sprache, Nation und Internet untersucht die Darstellung auf einer breiten Materialbasis ein weit verzweigtes Geflecht von Einflüssen, (wechselseitigen) Abhängigkeiten und Parametern, die zusammen ein vielschichtiges Bild der aktuellen Mediennutzung im nationalen Kontext multiethnischer Gemeinschaften ergeben.