Stimmungskunst von Novalis bis Hofmannsthal
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Innerhalb der Forschungen zum Verhältnis von Emotionen und Literatur stellen die Stimmungen ein schwieriges Terrain dar. Ihr unbestimmter, abgründiger Charakter berührt zwangsläufig die Frage nach den Grenzen des Denkens und Sprechens. Ausgehend von Heideggers Sein und Zeit und der semantikgeschichtlichen Rekonstruktion des antiken Stimmungsbegriffs durch den Romanisten Leo Spitzer, zeigt die Literaturwissenschaftlerin Angelika Jacobs, dass das alte Konzept der , Weltharmonie‘, das ihm zugrunde liegt, um 1800 nicht nur an Geltung verliert. Im Zuge der Verzeitlichung wird es umbesetzt und produktiv zur ästhetischen Bearbeitung des kantischen Dualismus von Vernunft und Gefühl genutzt. Das Stimmungskonzept eint die getrennten Erkenntnisvermögen, überspielt die Grenzen literarischer und epistemologischer Gattungen und ermöglicht damit in der Moderne das Erleben von Ganzheit im heteronomen Bewusstsein der Differenz. Die Fallstudien zeigen, dass diese Kunst des Ausgleichens und Vermittelns von Anfang an ein erkenntnis- und sprachkritisches Bewusstsein generiert, das Wilhelm von Humboldts Gattungsmodell und Sprachästhetik ebenso prägt wie die konstruktive Poetisierung des Wissens bei Novalis. Das folgenreiche Werk des Theologen Sören Kierkegaard treibt die romantische Aporie auf die Spitze, indem es philosophische und ästhetische Autonomiekonzepte durch einen verstörenden ironischen Schreibgestus unterläuft. Hofmannsthals und Rilkes symbolistische Poetologien nehmen diese Positionen um 1900 auf, um im lyrischen Drama und in der Lyrik medienbewusste Antworten auf die epochale Krise des Subjekt- und Zeichenbewusstseins zu entwerfen.