"… ihr Bilder, die lang ich vergessen geglaubt!"
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„Vielleicht träumte ich manchmal davon wegzulaufen, fort aus dieser engen, grauen Straße mit den hohen Häuserfassaden. Sie kamen mir vor wie Felswände, die mich gefangen hielten. Die Welt, so muss ich geglaubt haben, beginne dort, wo die Straße aufhöre. Aber irgendwie war ich dann doch wieder froh, die Haustür im Rücken zu spüren und zu hören, wie Mutter drinnen in der Küche oder im Flur rumorte.“ Dieses ambivalente Gefühl von Eingeperrtsein und Geborgenheit durchzieht Emil Angels Erinnerungen, die sich gleichzeitig wie die Chronik dieser „engen, grauen Straße“ lesen, in welcher der Autor seine Kindheit verbracht hat. Für nicht mal ein Drittel der Erzählungen wird der Leser aus ihr herausgeführt: so zum sonntäglichen Spaziergang ins Nachbardörfchen Linger; nach Huelmes, „um nur noch ein paar Sachen“ aus Mutters Elternhaus zu holen; zur „Oktave“ in die hauptstädtische Kathedrale und schließlich, bei Gelegenheit einer denkwürdigen Schmuggelexpedition, ins belgische Städtchen Athus. Bei den meisten der Erzählungen aber hat der Leser das Gefühl neben dem sechs-, acht- oder zehnjährigen Knaben auf dessen Lieblingsplatz, der Treppe vor dem Elternhaus, zu sitzen und mit ihm das Geschehen in der Straße grüblerisch zu begutachten. Und was sich hier abspielt, ist auf der einen Seite zeitbedingt, auf der anderen Seite aber allgemein menschlich, allzu menschlich! Eine Kleinstadt im Süden Luxemburgs, Ende der vierziger Jahre: Der Krieg ist vorbei, aber die Wunden, die er geschlagen hat, sind noch offen. Diejenigen der Nachbarn, die es mit den deutschen Besatzern gehalten haben, werden geächtet und gemieden, und der Patriotismus hat Hochkonjunktur. Ein bescheidener Wohlstand kommt auf: die Bessergestellten richten sich ein Badezimmer ein; und es spricht sich schnell in der Straße herum, wenn auf einmal in einer der Küchen ein Eisschrank oder in einem Keller eine Waschmaschine steht. Als ganz apart gilt der eigene Telefonanschluss. Es ist beileibe keine heile Welt, die der Autor vorführt. Von nachbarlichen Sticheleien geht die Rede, vom Neid der einen und der engstirnigen Überheblichkeit der andern, von Hartherzigkeit und Intoleranz, aber auch von menschlicher Solidarität. Die Straße erlebt sich als Gemeinschaft, in der mit der Zeit jedem seine Rolle zugeteilt wird: Ginettes Klaviergeklimper wird achselzuckend hingenommen, über Katts Eskapaden zeigt man sich empört, Adams schmuddelige Frau muss ertragen werden, und wenn Nachbar Stoffel, von der Sauftour heimkehrend, dem Klatschmaul der Straße ordentlich die Leviten liest, freut sich jeder. Und an den langen Sommerabenden setzt man die Stühle vors Haus und erinnert sich gemeinsam der in Kriegszeiten erlittenen Schikanen. Emil Angel erzählt seine Geschichten auf eine nüchterne, aber doch humorige Art, welcher deutlich anzumerken ist, dass er die Zeugen seiner Kindheit – trotz allem – in sein Herz geschlossen hat.