Buchgeschichten
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Die Buchwissenschaft ist eine erschreckend vielseitige Disziplin. Sie befasst sich mit ökonomischen, historischen und medientheoretischen Fragen. Sie kümmert sich um die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg, die Finessen des Urheberrechts und den Sinn des festen Ladenpreises. Sie erforscht die Geschichte berühmter und vergessener Verlage, aber auch die Perspektiven des Mediums Buch im digitalen Zeitalter und die Folgen der Konzentration im Buchgeschäft. Zu ihrem Themenspektrum gehören die Buchgestaltung vom Einband bis zur Typographie, die Bibliothekskunde und die Leserforschung, die Papierwirtschaft wie der Bücherdiebstahl. Sie behandelt politische Einflussfaktoren wie den Wandel der Zensursysteme, fokussiert die Rolle des Buches im wissenschaftlichen Diskurs und seziert das Marketing ganzer geistig-ideologischer Strömungen. Nur mit dem einzelnen Buch, und sei der Titel noch so berühmt, befasst sie sich überraschend selten. Traditionell ist das Aufgabe der Literaturwissenschaft. Das ist schade, denn der pragmatische Blick auf die konkreten Erscheinungsformen der Texte, auf die Prozesse der Entstehung, Herstellung, Vervielfältigung, Verbreitung, Kanon-Bildung und interkulturellen Rezeption usw. liefert Stoff für faszinierende Entdeckungen und Geschichten zu den Geschichten. Entstanden ist ein etwas anderer Literaturführer, verfasst von Leipziger Bachelor-Studenten des KMW-Moduls „Einführung in die Buchwissenschaft“, die ihre alten Lieblingsbücher – Kultbücher, Kinderbücher und Märchen – auf neue Weise entdeckt haben, oder auch Titel, die ihnen wie Goethes „Werther“ in der Schule vergrault worden waren. Sie begeistern für die Klassiker schreibender Frauen und lassen sich von den Mythen ferner Kulturkreise inspirieren, sie fragen nach den Entstehungsbedingungen wissenschaftlicher Bestseller wie Freud und Darwin, entdecken Knigge und Casanova. Es gibt aber auch „das böse Buch“ wie den „Hexenhammer“ und „Mein Kampf“. Daneben Bücher, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzen oder die, wie Bulgakows „Der Meister und Margarita“ und die Mao-Bibel, einen Blick in die kommunistische Bücherwelt erlauben. Im Ergebnis also eine Art kleiner Leitfaden zur Weltliteratur (nicht nur) für Einsteiger, der jedoch die von Zufall, Missverständnis und verlegerischer Manipulation geprägte Fragwürdigkeit jeder Kanon-Bildung transparent macht. Von Aristoteles bis Zola bleibt noch Einiges zu tun. Wenn der Leser so viel Spaß hat wie die Autoren, steht einer Fortsetzung nichts im Wege. Siegfried Lokatis