Beziehungsmodelle in der Heimerziehung
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Wenn die Familie ihrem Sozialisationsauftrag nicht gerecht werden kann, wachsen Kinder und Jugendliche in alternativen Lebensformen, häufig in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe auf. Die Frage, wie sie sich in diesen gesund entwickeln können, ist eng mit der Frage nach der pädagogischen Beziehung verbunden: Erfolgt ein Beziehungsangebot, in welchem die Kinder und Jugendlichen nach einer in der Regel gescheiterten Primärsozialisation entsprechend ihren Bedürfnissen Bindung und Autonomie erfahren? Welche Faktoren bestimmen dieses Angebot? Welche Bedürfnisse bringen die Kinder und Jugendlichen tatsächlich mit? Von welchen Beziehungsmodellen wird das Handeln der beteiligten Personen implizit strukturiert? Eine empirische Fundierung dieser Thematik steht in weiten Teilen noch aus - insofern trägt das Buch dazu bei, eine Forschungslücke zu schließen. Sie rekonstruiert, welche Beziehungsmodelle Jugendliche und Erzieher im menschlichen Zusammenleben außerhalb der Familie in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe entwickeln. Familie ist durch andere Strukturen bestimmt als stationäre Jugendhilfe - dementsprechend geht die Autorin von der Grundannahme aus, dass sich in Einrichtungen der Ersatzerziehung spezifische Beziehungsmodelle entwickeln müssen. Die Studie belegt, dass die Betreuungsform die entwickelten Beziehungsmodelle in zentraler Weise (vor)strukturiert. Es werden exemplarisch die gegensätzlichen Modelle einer SOS-Kinderdorffamilie mit einem 'mutter-zentrierten' Betreuungsmodell und einer Wohngruppe eines 'gewöhnlichen' Heimes mit einem Team von Betreuern in den Blick genommen. Anhand von acht narrativen Interviews mit Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften werden die subjektiven Beziehungsmodelle, deren Passungsverhältnisse sowie der Einfluss der jeweiligen Organisationsform beziehungsweise (berufs)biographischer Entwicklungslinien rekonstruiert und verglichen. Die Untersuchung belegt in eindrücklicher Weise, dass in der beruflichen Praxis der pädagogischen Mitarbeiter und in der Konstruktion der Beziehungsmodelle die Ausformung der biographischen Entwicklung und nicht die pädagogische Berufsausbildung handlungsleitende Relevanz gewinnt. Die Untersuchung verweist im Ergebnis auf Chancen und Grenzen institutionalisierter Ersatzerziehung und liefert Hinweise darauf, dass die Frage des im Beziehungsmodell enthalte-nen Bindungsangebotes für die professionelle Definition von Heimerziehung zentral ist.